DEN HAAG – Mit Hilfe der Annahme, es gebe so etwas wie ein „Carbon Budget“ gebe, weist ein niederländisches Gericht den Ölgiganten Shell unmittelbar selbst an, in der Zukunft Klimaziele zu erfüllen, und macht ihn auch noch dafür verantwortlich, daß seine Geschäftspartner das selbe tun.
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Weltweit gehen Organisationen und Privatpersonen gegen Regierungen, Behörden und Unternehmen vor, von denen sie glauben, dass diese nicht genug tun, um den Klimawandel einzudämmen.
In nur drei Jahren ist die Zahl der Fälle von 884 auf 1550 bis 2020 gestiegen, so ein Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep).
Zu den jüngsten Fälle gehören auch solche, in denen die EU-Kommission Staaten, wie Frankreich und Deutschland, verklagt hat, mit dem Tenor, daß diese Staaten nicht genug täten, um ihre Bevölkerung vor dem Klimawandel zu schützen.
Nun hat eine niederländische Umweltorganisation bei einer vergleichbaren Klage ein neues Argumentationsmuster ausprobiert. Die Gruppe argumentierte, daß die Politiker, die gewählt wurden, klimaschützende Maßnahmen nicht schnell genug entscheiden, und daß deswegen die Menschenrechte der Kläger verletzt würde.
Die Verfahrenstaktik ist demnach, das Thema „Klima“ irgendwie an das Thema „Menschenrechte“ anzukoppeln, weil „Menschenrechte“ rechtlich betrachtet absolut und nicht relativierbar sind.
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Die Entmachtung der Volksvertretungen
Europaweit schreitet die Entmachtung der legitimierten Volksvertretungen stetig voran. Ein bekanntes Phänomen in diesem Zusammenhang ist das von den Altparteien politisch gewollte Entziehen von Themen, mit denen sich demokratisch legitimierte Parlamente befassen dürften/können, indem beispielsweise ganze Tehemenblöcke durch die Regierungen von Bund und Ländern an z.B. supranationale Organisationen oder Staatengeflechte übertragen werden und damit den nationalen Parlamenten und den darin sitzenden legitimierten Volksvertretern entzogen werden. So versuchen beispielswiese derzeit die Regierungen von Bund und Ländern immer mehr Kompetenzen des Gesundheitswesens an die EU oder andere supranationale Organisationen zu verlagern. Hierdurch werden diese Kompetenzen dem Zugriff der Volksvertreter entzogen.
Weltweit laufen derzeit wohl mehr als 1.000 Verfahren zum Klimaschutz. Streitgegenstand ist hierbei meist die Frage, wer für bereits angerichtete Schäden aufkommt. Im Unterschied dazu hatten so genannte „Aktivisten“ in den Niederlanden nun das Ziel, Shell durch ein Gericht dazu zwingen, durch seine Produkte in der Zukunft keinen Schaden mehr anzurichten.
Nun hat das Bezirksgericht in Den Haag erstmals einen neuen Weg gefunden, den Volksvertretungen ein weiteres Thema zu entziehen, das in deren Entscheidungskompetenz liegt: Das Gericht entschied, daß nicht mehr die Volksvertreter im zuständigen Parlamenten mit Hilfe des Mehrheitsprinzips darüber befinden, welchen Weg der Konzern Shell einzuschlagen hat, um Auflagen aus internationalen Abkommen umzusetzen, oder daß bei einem bereits bestehendem gesetzlichem Regelwerk die Verwaltung derartige Maßnahmen ausarbeitet; nein, dies hat in Den Haag nun ein Bezirksgericht an Stelle der gesetzgebenden der Sammlung demokratisch legitimierter Parlamentarier, bzw. der Verwaltung getan!
Das ist neu: Das Bezirksgericht in Den Haag hat am 26.5.2021 den niederländischen Ölkonzern Royal Dutch Shell direkt zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Dieser muss nun seine Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2019 um mindestens 45 Prozent reduzieren.
Und auch das ist neu: Diese Pflicht zum Klimaschutz gilt nicht nur für die Unternehmen von Royal Dutch Shell, sondern auch für dessen Zulieferer und Endabnehmer.
Um dieses Urteil zu sprechen, griff das Gericht auf die äußerst fragwürdige und wissenschaftlich unbelegte „CO2-Budget-Theorie“ zurück.
Die CO2-Budget-Theorie
Ein Blick in das Urteil zeigt, daß das Gericht die so genannte „Budget-Theorie“ angewandt hat. Der „Budget-Theorie“ zufolge wird angenommen, daß es ein CO2-Budget im Sinn einer Restmenge noch emittierbarer Treibhausgase – gebe. Diese „Budget-Theorie“ ist beispielswiese im betreffenden Artikel der Enzyklopädie Britannica noch gar nicht enthalten.
Vor etwas über 10 Jahren wurde versucht, den Begriff des „Carbon Budget“ zu formulieren und einzuführen:
Die „Carbon Budget“-Theorie wird aus der Annahme abgeleitet, daß es einen annähernd linearen Zusammenhang zwischen der kumulierten Gesamtmenge an emittierten Treibhausgasen und der dadurch verursachen Temperaturerhöhung geben soll.
Im Jahr 2009 nahm der WWF diese Theorie dann auf, um sie als Umverteilungsinstrument zu nützen:
Seither meinen die Anhänger dieser Theorie, daß für einen „wirksamen Klimaschutz“ die kumulierte Menge an ausgestoßenen Treibhausgasen limitiert werden müsse. Um wiederum dies zu erreichen, müsse die gesamte Energiewirtschaft vollständig karbonisiert werden. Doch das die „Carbon Budget“-Theorie ist und bleibt eine Theorie:
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Das Bezirksgericht in Den Haag legt seinem Urteil die Carbon-Budget-Theorie zugrunde
Um den ihm von Umwelt Aktivsten vorgelegten Fall zu lesen, legt das Bezirksgericht in Den Haag seiner Urteilsfindung nun genau diese Theorie seiner Rechtsfindung zugrunde
Rein rechtlich betrachtet: Unfug
Bei dänischen Umweltrechtsexperten sorgt das Urteil nicht für Jubel, sondern eher für Erstaunen und Stirnrunzeln.
„Und in dem Fall gehe es nicht um einen Gesetzesverstoß, sondern um eine Verpflichtung zum Handeln in der Zukunft,“
sagt Bent Ole Mortensen, Professor an der Süddänischen Universität.
Ob sich die niederländische Entscheidung an der Grenze zwischen Gerichten und Gesetzgebern bewegt, hält er für diskutabel.
„Normalerweise muss das Parlament die internationalen Verpflichtungen umsetzen, denen das Land nachkommen muss. Aber hier geht ein Gericht rein und sagt, dass Shell jetzt so und so viel reduzieren muss. Aber es ist nicht sicher, ob das Parlament zu dem gleichen Schluss gekommen ist. Sie hätten auch einen anderen Sektor herauspicken können, um Kürzungen zu erklären,“
meint er. Dieser Weg, daß Parlamente entscheiden, wer welchen Beitrag leistet, wurde durch dieses Urteil umgangen.
Politik gegen Recht
Sein Kollege Peter Pagh, Professor für Umweltrecht an der Universität Kopenhagen, stimmt dem zu und glaubt, dass die niederländischen Richter zu weit gegangen sind.
„Es ist zutiefst problematisch. Weil man den politischen Prozess mit dem Argument kurzschließt, dass man eine moralische Handlungspflicht gegenüber dem Klima hat und deshalb die rechtmäßig gewählten Abgeordneten einfach umgehen kann,“
argumentiert er.
Darüber hinaus hält er es für falsch, Shell zu befehlen, ihre Emissionen zu reduzieren, wenn niemand genau sagen kann, wie viel an der globalen Erwärmung das Unternehmen verantwortlich ist. Damit fehlt es an jeglicher Kausalität. Kausalität muß jedoch grundsätzlich bei solchen Fällen gegeben sein.
„Es sei nicht so, dass die globale Erwärmung aufhöre, weil Shell kein Öl mehr produziere“,
sagt er.
Dies sind die gleichen Argumente, die Shell selbst während des Prozesses verwendet hat. Das heißt, es liegt an den Regierungen, Gesetze zu erlassen und Forderungen an Unternehmen zu stellen, und dass es keinen Sinn macht, ein Unternehmen dazu zu verurteilen, die Ölförderung so lange einzustellen, wie die Welt es noch fordert, weil es einfach bedeuten würde, dass andere Unternehmen über die Ölförderung.
Shell kündigte deshalb gestern auch an, gegen das „enttäuschende“ Urteil Berufung einlegen zu wollen.
17.000 Bürger
Der Fall wurde von einer Gruppe von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen mit 17.000 niederländischen Bürgern eingeleitet. Sie glauben, dass Shell – das zu den zehn größten Emittenten der Welt gehört – ihre grundlegenden Menschenrechte verletzt, indem es große Mengen Öl fördert, das das Klima erwärmt.
Greenpeace in Dänemark unterstützt dies.
– Wir sind absolut glücklich. Wir sind wirklich zufrieden. Wir denken, dass dies ein historischer Wendepunkt sein kann, sagt Helene Hagel, Leiterin der Klima- und Umweltpolitik.
– Dies ist das erste Mal, dass ein Gericht einem Unternehmen angeordnet hat, die Emissionen auf ein Niveau zu senken, das mit dem Pariser Abkommen und der Klimawissenschaft im Einklang steht, sagt sie.
GIBT ES ANDERE KLIMAGERICHTSFÄLLE?
Auch der niederländische Staat war zuvor dazu verurteilt worden, ehrgeizigere Klimaziele zu formulieren.
– Es ist ein wichtiges Signal, das an die globale Ölindustrie gesendet wird. Dass, wenn sie nicht anfangen, die Leute hinter ihnen her sind und dann vor Gericht landen.
– Aber es wäre besser, wenn es nicht notwendig wäre. Der Gang vor Gericht sei eher eine Notwendigkeit als ein Wunsch, sagt sie.
Es kauft Peter Pagh nicht.
– Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass große globale Probleme wie das Klima am besten mit globalen Abkommen wie dem Pariser Abkommen gelöst werden. Es ist nicht immer sehr hübsch, aber das Beste, sagt er.