BERLIN – Die rechtsstaatliche Aufarbeitung der Grundrechtsbeschränkungen im Zuge der Pandemiebekämpfung hat begonnen, aber sie ist bei weitem noch nicht abgeschlossen brachte es der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier in einem Interview mit der Zeitung DIE WELT auf den Punkt.
Es ist wie ein Echo aus einer längst vergangenen Zeit. Hans-Jürgen Papier mißt die aktuellen Geschehnisse an den Maßstäben, die während seiner Präsidentschaft im Bundesverfassungsgericht noch galten und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis. An dieser Stelle sei erwähnt, daß das CDU-Bundestagsmitglied Stephan Harbarth, 2018 mit den Stimmen der Grünen ins Bundesverfassungsgericht gewählt wurde und dann dort alle überholte und 2020 dann dessen Präsident wurde.
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Wesen und Zweck der Grundrechte ist die Garantie von Freiheit
Papier beobachtet, daß diese Werteordnung unserer Verfassung schon vor dem Auftreten von Covid-19 einer sektorhaften und schleichenden Erosion ausgesetzt war.
Dreh- und Angelpunkt sind für den ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts hierbei die Rahmenordnung, die die Verfassung und die durch sie geschaffene Werteordnung mit Hilfe der Grund- und Menschenrechte vorgibt.
Zweck dieser Ordnung und der in den Artikeln 1-20 verfaßten Grundrechte ist – und das hebt Papier hervor – wiederum die Freiheitlichkeit und daß deren Einhaltung über die parlamentarische Demokratie gesichert wird.
Hierbei handelt es sich um eine Tatsache, die in der Zeit, in der er Vorsitzender des Bundesverfassungsgerichts war, noch eine Selbstverständlichkeit war. Heute jedoch macht man sich in manchen Kreisen bereits verdächtig, wenn man derartige Äußerungen tätigt. Er stellt aber fest, daß die betriebene Politik und die gesellschaftlichen Akteure in den letzten Jahren von diesem Wertekoordinatensystem entfernt hätten. Geradezu schockiert hält er zu den Entwicklungen, die mit Covid-19 begründet werden, fest:
Und eine Mahnung gibt der Verfassungsrechtler der Öffentlichkeit noch mit auf den Weg:
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Situativer Ausfall des Rechtsstaats
Bereits seit einigen Jahren erkennt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier, einen situativen Ausfall von Teilen des Rechtsstaats. Papier bleibt hierbei aber nicht etwa passiv, sondern veröffentlichte diese Kritik in einem Buch mit dem Titel
In diesem thematisiert und kritisiert dieser die fortschreitende Aushöhlung des Rechtsstaats unter / durch Angela Merkels Herrschaft.
Derartige Eindrücke bestätigen Papier offenbar in seiner Auffassung, daß zentrale Akteure in zu großen Teilen der aktuell an der Macht befindlichen Kreise in Politik und Gesellschaft sich dieses Wertekoordinatensystem des Grundgesetzes nicht mehr zur Richtschnur ihres Handelns nehmen.
Besonders schockiert hat ihn hierbei offenbar die offen zu Tage getragene Haltung, daß Spitzenpolitiker den Bürgern „Grundrechte zurückgeben“ könnten?!
Auch darin drücken sich Fehlvorstellungen über den Rang und den Vorrang der Grundrechte aus.
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Ausfall eins: Privilegien für Geimpfte?
Als konkretes Beispiel führt Papier außerdem die Diskussion an, daß Geimpfte „Grundrechte“ zurückgegeben werden könnten. Aber auch diese Vorstellung ist nicht mit dem Koordinatensystem des Grundgesetzes vereinbar:
Im diametralen Gegensatz zu diesen Vorgaben verkündete Angela Merkel ihre Haltung:
Außerdem müsse erst „eindeutig“ geklärt sein, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend seien.“
Schon in den Begriffen
oder
die jemand nach einer Impfung haben könnte, kommen nach Überzeugung Papiers
„Fehlvorstellungen über den Rang und den Vorrang der Grundrechte“
zum Ausdruck:
„Das sind Freiheitsrechte gegenüber dem Staat, die jeder innehat und die für jeden gelten.“
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Ausfall zwei: Lockdown
Als noch weiteres Beispiel für den Ausfall eines gesamten Sektors führt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts den Lockdown an. Dies beginne schon damit, daß dieser von einem im Grundgesetz nicht vorgesehenen Gremium „beschlossen“ wurde:
Das Ausmaß alleine dieser Einschränkungen macht den ehemaligen obersten Hüter der Verfassung und der Freiheit der Bürger offenbar fassungslos:
Letztendlich wird man dieses im Grundgesetz nicht vorgesehene Gremium wohl als sozialistisch-kommunistisches „Rätekonstrukt“ bezeichnen müssen, das innerhalb des eigentlich parlamentarischen Systems einfach implementiert wurde und seither vom den Spitzen aus Bund und Ländern einfach praktiziert wird.
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Ausfall drei: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Als weiteres Beispiel führt Papier den Ausfall des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit an, doch das zu lösen traut er noch den unteren Instanzen zu:
Offenkundig hofft er auf entsprechende Klagen:
Nach diesen Sätzen möchte man eigentlich gar nichts mehr weiter schreiben. Man möchte sie nur stehen und nachhallen lassen.
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Verantwortlich für diese Ausfälle und für die Entkernung der Grundrechte: Angela Merkel
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert diese grundsätzliche Diagnose sogar noch auf einige konkrete Sektoren, in denen der dieser Ausfall der Grundrechte und des Rechtsstaats als besonders offenkundig wahrnimmt, denn dieses Wertekoordinatensystem, des Grundgesetzes habe sich bei „vielen
selbst noch nicht so ganz durchgesetzt“ erklärt er.
Doch nicht einmal an dieser Stelle macht Papier Halt, was schon ungewöhnlich ist. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und macht sogar eine Verantwortliche erkennbar:
Und der Journalist unterbricht ihn
Umso schwerer wiegen Papiers folgende Worte, mit denen er Kanzlerin Merkel eine Haltung vorwirft, die nicht im Einklang mit dem Grundgesetz steht: