RKI veröffentlicht erstmals Daten zum Umfeld der Ansteckungen: In Gaststätten und Beherbergungsbetrieben kaum Infektionsrisiko

Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf?__blob=publicationFile

BERLIN – An welchen Orten und vor allem bei welchen Gelegenheiten stecken sich die Deutschen mit dem angeblich so gefährlichen Covid-19-Virus an. Die Frage des „wo“ scheint meist klärbar zu sein. Die Frage „bei welcher Gelegenheit“ blieb bisher unbeantwortet, obwohl dem RKI die Daten vorlagen.

Das RKI hat inzwischen ca. 55.000 der 202.000 bis Mitte Juli nach § 1 Infektionsschutzgesetz gemeldeten Infektionen einem Ansteckungszusammenhang zugeordnet. Dies geht aus einem Epidemiologischen Bulletin des RKI hervor, das durch das RKI am 23.8. vorzeitig im Internet veröffentlicht wurde.

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Der Umfang der Meldepflichten durch die Gesundheitsämter

Es ist keine wirklich vertrauensbildende Maßnahme, wenn seit Mitte Mai Ärzte den

„wahrscheinlichen Infektionsweg – einschließlich Umfeld, in dem die Übertragung wahrscheinlich stattgefunden hat“

dem Gesundheitsamt melden müssen. Das können sie aber nur, wenn die Patienten ihnen diese Informationen geben und wenn die gegebenen Informationen zutreffen.

§ 9 des Infektionsschutzgesetzes legt bei der Meldung an das RKI fest, welche Informationen zu melden sind. Hierzu gehören:

  1. h) Tag der Erkrankung, Tag der Diagnose, gegebenenfalls Tag des Todes und wahrscheinlicher Zeitpunkt oder Zeitraum der Infektion,
  2. k) wahrscheinlicher Infektionsweg, einschließlich Umfeld, in dem die Übertragung wahrscheinlich stattgefunden hat, mit Name, Anschrift und weiteren Kontaktdaten der Infektionsquelle und wahrscheinliches Infektionsrisiko,

Ergänzt wurden diese gesetzlichen Pflichten um zusätzliche Auflage, die einer Vorgabe der Bundesregierung aus der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020 entsprechen. Diese regeln unter TOP 2 Nr. 3 zusätzlich:

“ Um zukünftig Infektionsketten schnell zu erkennen, zielgerichtete Testungen durchzuführen, eine vollständige Kontaktnachverfolgung zu gewährleisten und die Betroffenen professionell zu betreuen, werden in den öffentlichen Gesundheitsdiensten vor Ort erhebliche zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen, mindestens ein Team von 5 Personen pro 20.000 Einwohner.

In besonders betroffenen Gebieten sollen zusätzliche Teams der Länder eingesetzt werden und auch die Bundeswehr wird mit geschultem Personal solche Regionen bei der Kontaktnachverfolgung und -betreuung unterstützen. Das Ziel von Bund und Ländern ist es, alle Infektionsketten nachzuvollziehen und möglichst schnell zu unterbrechen.

Um das Meldewesen der Fallzahlen zu optimieren und die Zusammenarbeit der Gesundheitsdienste mit dem RKI bei der Kontaktnachverfolgung zu verbessern, führt das Bundesverwaltungsamt onlineSchulungen durch. Zudem plant das Bundesministerium für Gesundheit ein Förderprogramm zur technischen Aus-und Aufrüstung sowie Schulung der lokalen Gesundheitsdienste.

Um besser zu verstehen, in welchen Zusammenhängen die Ansteckungen stattfinden und damit eine bessere Entscheidungsgrundlage zu haben, wo kontaktbeschränkende Maßnahmen weiter besonders erforderlich sind, soll zukünftig, wie im Infektionsschutzgesetz auch angelegt, der mutmaßliche Ansteckungszusammenhang möglichst vollständig erfasst werden. “  

Wenn man nun die Veröffentlichungen des RKI betrachtet, dann findet man dort die Angaben nach § 1 h) des Infektionsschutzgesetzes, nicht aber die Angaben nach § 1 k) des Infektionsschutzgesetzes. Dies erstaunt deswegen, weil mit Hilfe dieser Informationen eine Differenzierung bei den Auflagen möglich wäre!

So wundert sich auch die Zeitung die WELT über diese Lücke:

In der Bar, beim Sport, im Urlaub oder auf einer Feier? Deutschland schafft es bis heute nicht, Infektionen mit Sars-CoV-2-Viren klar zuzuordnen. Dabei wären es wertvolle Informationen, die sich auf das Verhalten der Bevölkerung auswirken könnten. Wo hakt es?

Das RKI kennt also

  • den wahrscheinlichen Infektionsweg,
  • das wahrscheinliche Infektionsumfeld, in dem die Übertragung wahrscheinlich stattgefunden hat
  • die Infektionsquelle und
  • das wahrscheinliche Infektionsrisiko,

Aber das RKI verschwieg der Öffentlichkeit diese Daten bisher. Doch diese Daten sind enorm wichtig, denn:

  • Wüßte die Öffentlichkeit, daß ein Besuch bei einer Demonstration zu (k)einer großen Anzahl an Infektionen geführt hat, dann könnten sich alle darauf einstellen und es würde (keinen) Sinn mehr machen, Demonstrationen  durch Behörden Auflagen zu erteilen;
  • Wüßte die Öffentlichkeit, daß ein Besuch in einem Gasthaus oder Friseur zu (k)einer großen Anzahl an Infektionen geführt hat, dann könnten die Auflagen für die arg geschundenen Gastwirte oder Friseure viel passgenauer erteilt werden;
  • Wüßte die Öffentlichkeit, daß ein Besuch im Schwimmbad zu (k)einer großen Anzahl an Infektionen geführt hat, dann könnten Badeanstalten wieder uneingeschränkt öffnen;
  • Wüßte die Öffentlichkeit, daß die Arbeit in (Großraum-)Büros oder Schulen zu (k)einer großen Anzahl an Infektionen geführt hat, dann könnten Arbeitgeber oder Schulen hierauf präzise reagieren.

Da all das nicht der Fall ist, und da diese Informationen ausschließlich die Gesundheitsämter und das RKI und die Bundesregierung hat, ist es der Bundesregierung möglich, breite Auflagen für die Bevölkerung zu erlassen, ohne daß sie hierbei durch Gerichte gestört wird. So sieht das jedenfalls auch die Zeitung die WELT:

Wenn man das wüsste, könnte man neue Fälle besser vermeiden – ebenso wie unnötige Beschränkungen des sozialen Lebens. Die Diskussion über Verbote und Vorsichtsmaßnahmen könnte endlich gezielter geführt werden. Mehr als sechs Monate nachdem das neue Coronavirus in Deutschland angekommen ist, sollten die dafür nötigen Informationen doch verfügbar sein, würde man denken. Doch weit gefehlt.

 

Was ist ein „Ausbruch“?

So  weit diese Daten vorhanden sind, werden die um Namen und Anschriften bereinigten Angaben dann zur zuständigen Landesbehörde weitergeleitet und von dort zum Robert Koch-Institut. Dies erfolgt „spätestens am folgenden Arbeitstag“. So weit die Theorie.

Von allen Meldungen aus den Gesundheitsämtern fasst das RKI nur diejenigen zusammen und wertet sie betreffend ihrer Zusammenhänge aus, die einen „Ausbruch“ zurechenbar sind.

Das Anlegen der Ausbrüche dient zunächst der Erleichterung der Arbeit im Gesundheitsamt und der besseren Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Gesundheitsämtern. Wie Ausbrüche in den Gesundheitsämtern angelegt werden, ist sehr unterschiedlich und hängt von den Gegebenheiten vor Ort sowie der Charakteristika der Ausbrüche ab.

Obwohl diese Vorgaben seit Monaten beschlossene gelten, funktioniert die Auswertung dieser Angaben bislang nur für sogenannte „Ausbrüche“ – gemeint sind Infektionen von mehreren Personen, die mit großer Wahrscheinlichkeit zusammenhängen.

Da eine eindeutige Aufklärung der eigenen Infektionsumstände für sehr viele Einzelfälle nicht möglich ist, ist die Aufarbeitung von COVID-19-Ausbruchsgeschehen umso wichtiger. Die Gesundheitsämter ermitteln im Umfeld von Fällen, ob weitere Fälle auftreten. Können wahrscheinliche Infektionsketten nachvollzogen werden, fassen sie diese als Ausbruchsgeschehen zusammen. Solche Ausbruchsgesehen sollen den Landesbehörden und dem RKI ebenfalls übermittelt werden.  

Die Zeitung die WELT hat erfahren, daß bis ca. Mitte August in Deutschland 9000 derartige „Ausbrüche verzeichnet werden konnten:

Seit Januar sind nach Informationen der WELT AM SONNTAG rund 9000 Ausbrüche von Sars-CoV-2 gemeldet worden. Doch schon auf die Frage, wie viele Menschen mehr oder weniger gleichzeitig ein positives Testergebnis erhalten müssen, damit es sich um einen „Ausbruch“ handelt, scheint es keine einheitliche Antwort zu geben. Teils wurden Infektionen innerhalb von Familien als Ausbruch definiert – teils nicht. Teils wurden nur Großausbrüche wie etwa die in Schlachtbetrieben gemeldet – teils wurden auch diese nicht vollständig erfasst.

Nur die Daten, die im Umfeld dieser 9000 „Ausbrüche“ erhoben wurden, gingen demnach in eine statistische Analyse der RKI ein, die das RKI am 23.8.2020 veröffentlicht hat. Das RKI hat die Daten dieser übermittelten Ausbrüche analysiert. die Ausbrüche, zu welchen das RKI Daten vorliegen hat. fanden in folgendem Umfeld statt: (eigene Auswahl aus Datenstand 11.8.2020)

  1. Privater Haushalt: 3.902
  2. Alten-/Pflegeheim: 709
  3. Arbeitsplatz, unspezifisch: 412
  4. Krankenhaus: 402
  5. Flüchtlings-, Asylbewerberheim: 199
  6. Freizeit Freizeit, unspezifisch: 195
  7. Hotel, Pension, Herberge: 169
  8. Betreuungseinrichtung, unspezifisch: 95
  9. Verein, oder ähnliches: 47
  10. Seniorentagesstätte: 46
  11. Kindergarten, Hort: 33
  12. Restaurant, Gaststätte: 38

Bei diesen Ausbrüchen wurden in jedem der obigen Umfelder folgende Personenzahlen infiziert:

  1. Privater Haushalt: 12.315
  2. Alten-/Pflegeheim: 13.314
  3. Arbeitsplatz, unspezifisch: 5.824
  4. Krankenhaus: 4.107
  5. Flüchtlings-, Asylbewerberheim: 4.146
  6. Freizeit Freizeit, unspezifisch: 1.699
  7. Hotel, Pension, Herberge: 578
  8. Betreuungseinrichtung, unspezifisch: 1.435
  9. Verein, oder ähnliches: 252
  10. Seniorentagesstätte: 845
  11. Kindergarten, Hort: 168
  12. Restaurant, Gaststätte: 273

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Erstmalige statistische Aufarbeitung der Daten zum Umfeld, in der eine Infektion stattfand

Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf?__blob=publicationFile

Am 23.8. hat das RKI erstmals Daten über das Umfeld veröffentlicht, in welchem eine Infektion stattfand.

Beim Ausbruchsgeschehen wird auch ermittelt und erfasst, in welchem Umfeld sie sich ereignen. Dabei kann zwischen

unterschieden werden.

Demnach verteilt sich das Ausbruchsgeschehen, wie in der Grafik dargestellt (Höhere Auflösung hier einsehbar).

Außer für die Kategorie Arbeitsplatz sind jeweils weitere Unterteilungen möglich. Es kann jedoch nur zwischen in der Software vorgegebenen Kategorien ausgewählt werden. Es können über 30 unterschiedliche Infektionsumfelder für Ausbrüche in der Software angegeben werden. Dennoch konnten bestimmte Infektionsumfelder nicht differenziert werden, in deren Rahmen COVID-19-Ausbrüche aufgetreten sind. Dazu zählen Ausbrüche in fleischverarbeitenden Betrieben oder Gottesdiensten. Diese werden unter gröberen Kategorien „Arbeitsplatz“ oder „Freizeit“ gefasst. Die Software wird kontinuierlich weiterentwickelt und eine Erweiterung der verfügbaren Auswahlmöglichkeiten ist vorgesehen.

Die Blautöne weisen hierbei auf Infektionen in Wohnbereichen, wie z.B. Unterkünften (Haushalt, Pflegeheim, Wohnheim, betreutes Wohnen etc.) hin. Die Ockertöne auf medizinische Einrichtungen. Grün auf Arbeits-/Ausbildungsstätten und rot/rosa  auf Betreuungseinrichtungen (Seniorentagesstätte, Kindergarten, Hort).

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Analyse bestätigt die bisherigen Erkenntnisse

Während aus privaten Haushalten 3.902 Fälle gemeldet  wurden, waren es aus Hotels, Pensionen, Herbergen 169 und aus Speisegaststätten oder Restaurants lediglich 38, wie man Tabelle 3 entnehmen kann.

Ein Großteil aller neu gemeldeten Infektionen lässt sich solchen Ausbrüchen überhaupt nicht zuordnen. Einzelne Menschen werden positiv auf Sars-CoV-2 getestet, sie haben sich an den verschiedensten Orten infiziert. Im Moment trifft es viele, die von einer Urlaubsreise aus dem Ausland zurückkehren.

Für die Ausbrüche läßt sich festhalten:

Insgesamt wurden 55.141 (27 %) von 202.225 übermittelten Fällen mindestens einem Ausbruchsgeschehen zugeordnet. Der Anteil von Fällen, die einem Ausbruch zugeordnet wurden, liegt bei Kindern bei rund 40 %, nimmt dann bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab und erst in der Altersgruppe der ab 80-Jährigen wieder deutlich zu. Bei älteren Menschen (> 80 Jahre) sind deutlich mehr Frauen Ausbruchsgeschehen zugeordnet als Männer.

Bei Betrachtung der Ausbruchsfälle im zeitlichen Verlauf lassen sich von der 9. KW 2020 bis zur 29. KW 2020 durchgehend Ausbruchsfälle erkennen, die privaten Haushalten zugeordnet wurden. Demgegenüber steigt die Zahl und der Anteil an Ausbruchsfällen in Alten- und Pflegeheimen ab der 13. KW deutlich an, um dann bis zur 22. KW wieder zurückzugehen. Ein ähnliches Muster zeigen Ausbrüche in Krankenhäusern und Reha-Einrichtung

In Ausbruchsuntersuchungen wurde z.B. gezeigt, dass Faktoren wie schlecht belüftete Innenräume und hohe Personendichte das Risiko von Übertragungen am Arbeitsplatz deutlich erhöht.