Warum Mustafa´s Gemüse Kebap in Berlin eine Ausnahme vom Bon-Zwang bekommt, der bayerische Handwerker hingegen nicht

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MÜNCHEN – In der Diskussion zum bevorstehenden Bon-Zwang (Drucksache Nr. 18/4969 vom 27.11.2019) kanzelte der Redner der CSU Wolfgang Fackler (auch Steueranwalt, leitender Regierungsbeamter (im Ruhestand)) die Anträge als „populistisch“ ab, um dann einen „bayerischen Weg“ vorzustellen, der „handwerkerfreundlich und mittelstandsfreudlich“ sein soll.  Angeblich soll der Bon, der jedem Kunden zwingend ausgehändigt wird, geeignet sein, die Pflicht der 10-jährigen unveränderbaren Aufzeichnung von elektronischen Daten zu kontrollieren.

Außerdem forderte er die Steuerbehörden auf, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, Ausnahmegenehmigungen auszustellen.

Das ebenfalls CSU-geführte bayerische Finanzministerium nutzt aber diese Spielräume nicht, die kleinen Geschäftsinhaber vom Bon-Zwang zu befreien. Nach den §§ 146a; 148; 6 Abs. 2 Abgabenordnung wären derartige Befreiungen durchaus möglich. Wie die Praxis der vom CSU-Abgeordneten Wolfgang Fackler „angemessene Steuervollziehung“ in der Praxis tatsächlich aussieht, zeigt folgendes Beispiel:

 

Wieso bekommt Mustafa´s Gemüse Kebap eine Ausnahmegenehmigung zum Bon-Zwang, bayerische Handwerker hingegen nicht?

Betreffend des Umgangs mit dem Bon-Zwang vernimmt man Erstaunliches:

So ist Mustafa´s Gemüse Kebap in Berlin vom Bon-Zwang befreit:

Mustafa’s Gemüse Kebap müsse sich hingegen gar nicht an die Bonpflicht halten, da der Betreiber eine Ausnahmegenehmigung vom Finanzamt besitze, sagt der Mitarbeiter Ikiz Abdulla.“

Die Handwerkskammer vermeldet hingegen, daß bayerische Handwerker keine Chance auf Befreiung vom Bon-Zwang hätten:

„Nach meinen Informationen werden die Ausnahmegenehmigungen sehr restriktiv vergeben, die meisten werden abgelehnt“, sagte der Präsident des Bayerischen Handwerkstags, Franz Xaver Peteranderl, am Freitag in München. Auch das bayerische Finanzministerium erklärte auf Anfrage, dass es eine Befreiung nur geben könne, wenn die Belegausgabe „im Einzelfall unzumutbar“ sei und betonte, dass die Kosten der Ausgabe alleine nicht dafür ausreichten. Dies sei eine bundeseinheitliche Regelung.

Im bayerischen Landtag findet der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion der Franz Bergmüller klar ablehnende Worte zum Bon-Zwang und kündigt Initiativen der AfD hierzu  an:

 

Zuständig für Ausnahmegenehmigungen sind auch die Länderfinanzbehörden

Ein Blick in die den Bon-Zwang regelnde Abgabenordnung (AO) liefert Hinweise für die Quelle, warum Mustafa´s Gemüse-Döner eine Ausnahmegenehmigung hat, bayerische Handwerker hingegen in der Regel  keine bekommen. So gilt ausweislich des § 146a (AO), der den Bon-Zwang regelt:

„Bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen können die Finanzbehörden nach § 148 aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Belegausgabepflicht nach Satz 1 befreien.“.

Ergänzend gilt gemäß § 148 (AO):

Die Finanzbehörden können für einzelne Fälle oder für bestimmte Gruppen von Fällen Erleichterungen bewilligen, wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird.“.

Die vom Bundesfinanzministerium herausgegebene Anwendungsverordnung zum § 148 (AO) ergänzt lediglich:

Eine Befreiung i. S. d. § 148 AO kann nur für den jeweiligen Einzelfall beantragt und gewährt werden. Eine Befreiung kommt nur dann in Betracht, wenn nachweislich eine sachliche oder persönliche Härte für den einzelnen Steuerpflichtigen besteht. Die mit der Belegausgabepflicht entstehenden Kosten stellen für sich allein keine sachliche Härte im Sinne des § 148 AO dar.

Finanzbehörden im Sinne des § 148 AO sind wiederum auch

„die folgenden im Gesetz über die Finanzverwaltung genannten Bundes- und Landesfinanzbehörden: 1…. die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden als oberste Behörden…4. die Oberfinanzdirektionen als Mittelbehörden, “ (§ 6 Abs. 2 AO).

Ein ergänzender Blick in das Organigramm der Steuerverwaltung in Bayern lehrt:

„Das BayLfSt ist eine Landesbehörde des Freistaats Bayern. Es ist die einzige Mittelbehörde im Aufbau der Steuerverwaltung und damit das Verbindungsglied zwischen dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat und den Finanzämtern.“

Dem BayLfSt nachgeordnet sind wiederum die 76 Finanzämter in Bayern. Folglich wären sowohl das Finanzministerium Bayerns, als auch das Bayerische Landesamt für Steuern (BayLfSt) berechtigt derartige Ausnahmegenehmigungen zu erteilen.

 

Dessen ungeachtet, daß die Landesregierung einzelne und gruppenbezogene Freistellungen vom Bon-Zwang erstellen kann, stellen die Regierungsparteien den Antrag (29.01.2020 Drucksache 18/5871), daß auf Bundesebene auf Erleichterungen hingewirkt werden soll:

Die Staatsregierung wird aufgefordert,
1. weiterhin die Spielräume bei der Befreiung von der Bon-Pflicht aus Zumutbarkeitsgründen zu nutzen, um bürokratische Auswüchse für den bayerischen Mittelstand zu vermeiden und
2. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, Erleichterungen zu erreichen.

Ebenso ahnungslos scheint die FDP zu sein, die den Ball ebenfalls der Bundesebene zuspielt.

Eigentlich bräuchte der bayerische Finanzminister also nur seine Finanzbehörden anweisen Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Einen Markus Söder (CSU) mit seinen markigen Worten: „Er halte es für „sehr sinnvoll“ noch einmal über Bagatellgrenzen zu sprechen, sagte er dem Radiosender Antenne Bayern.“ bräuchte es hierbei gar nicht. Er bräuchte nur seinen Finanzminister anzuweisen, für den Bon-Zwang Ausnahmen zu gestatten.

Praktisch  verweigern jedoch sowohl der Ministerpräsident, als auch der Finanzminister den den kleinen Ladeninhabern offenbar diesen Dienst.

Die eingangs gestellte Frage, warum in Berlin Mustafa´s Gemüse Kebap eine Ausnahme vom Bon-Zwang hat, der bayerische Handwerker aber nicht, könnte also darin zu finden sein, daß die obersten Finanzbehörden Berlins den Inhaber von Mustafa´s Gemüse Kebap für steuerehrlicher ansehen, als die obersten Finanzbehörden Bayerns den bayerischen Handwerker!

 

Das Problem manipulierbarer Ladenkassen

Das Problem moderner manipulierbarer Ladenkassen ist seit langer Zeit bekannt und wird vom Bundesrechnungshof wie folgt beschrieben:

Spezielle Software ermöglicht es Steuerpflichtigen, elektronische Registrierkassen zu manipulieren und so Steuern zu hinterziehen. Die Software zeichnet Bedienereingaben nicht auf oder löscht Daten und bestimmte Umsatzkategorien. Sie ersetzt außerdem ganze Datenbanken, erfasst Geschäftsvorgänge, die nicht stattgefunden haben oder verkürzt Umsätze in Form voreingestellter Geldwerte oder Prozentsätze. Manipulationen treten insbesondere in bargeldintensiven Branchen auf“ 

Der Umgang mit diesem Problem bringt jedoch offenbar erhebliche politische Probleme mit sich:

 

Per BMF-Schreiben vom 26.11.2010 wurden Ladenkassenbesitzer verpflichtet Kassendaten 10 Jahre lang unveränderbar aufzuzeichnen und zu sichern

Bereits 2010 versuchte das Finanzministerium dem Problem mit eigenen Instrumenten zu begegnen und führte eine Art „Bon-Pflicht“ ein:

„Am 26.11.2010 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ein Schreiben („Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften“) herausgegeben, in dem die Anforderungen an Kassensysteme erheblich verschärft wurden. Im Grundsatz bestehen diese Anforderungen zwar schon seit vielen Jahren, durch Erleichterungsregelungen und die bisherige Auslegung der Vorschriften im Rahmen der Betriebsprüfungen sah die Praxis bei allen Kassenherstellern und Anwendern bisher jedoch anders aus. Laut dem BMF-Schreiben vom 26.11.2010 muss ein Kassensystem ab sofort alle Buchungsdaten im Detail sowie weitere Daten elektronisch und unveränderbar aufzeichnen und mindestens 10 Jahre archivieren. Das Schreiben führt auf, welche Daten als „steuerlich relevant“ angesehen werden: Journal-, Auswertungs-, Programmier- und Stammdatenänderungsdaten. Diese Forderungen sind sehr allgemein, entscheidend dabei ist jedoch, dass sich die Abrechnungsdaten (also z.B. die Tagesumsätze) lückenlos aus den einzelnen Verkaufsvorgängen (also den einzelnen Produkten oder vergleichbaren Rechnungspositionen) herleiten lassen, auch wenn inzwischen Stammdaten oder andere Einstellungen an den Kassen verändert wurden. Ferner legen die Finanzbehörden großen Wert darauf, dass die Daten nicht verändert werden können und dass die Vollständigkeit prüfbar ist (z.B. durch geeignete fortlaufende Nummern). Die Archivierung kann auch auf einem nachgeschalteten System erfolgen. Diese Daten müssen bei Betriebsprüfungen elektronisch in einem „auswertbaren Format“ und mit „Strukturinformationen“ zur Verfügung gestellt werden, womit eine direkte Schnittstelle zur IDEA-Software der Prüfer gemeint ist. Sollten die Kassensysteme eines Anwenders diese Forderung nicht erfüllen, kann die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung in Frage gestellt werden – in diesem Fall droht eine Schätzung der Einnahmen mit unkalkulierbaren Folgen.“ (vgl. OFD Karlsruhe v.31.10.2016) 

Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, daß „ein Kassensystem ab sofort alle Buchungsdaten im Detail sowie weitere Daten elektronisch und unveränderbar aufzeichnen und mindestens 10 Jahre archivieren“ muss stellt sich die Frage, wieso hiernach nach dem BMF-Schreiben überhaupt noch weitere Maßnahmen durch den Gesetzgeber als notwendig erachtet werden? Wenn jede Aufzeichnung 10 sowieso Jahre lang gespeichert ist, wieso bedarf es dann noch  weitergehender Maßnahmen, wie z.B. einen Bonausdruck, möchte man meinen?

 

Gesetzesinitiative des Bundes zu manipulationssicheren Ladenkassen

Fünf Jahre nach diesem BMF-Schreiben wollte das Wirtschaftsministerium diese Praxis in ein Gesetz gießen. Auch ein offenbar manipulationssicheres Landekassensystem steht seither offenbar zur Verfügung:

Das zur Zeit am intensivsten vom ADM e.V. betreute Projekt ist das INSIKA-Verfahren („Integrierte Sicherheitsleistung für messwertverarbeitende Kassensysteme“). Es basiert auf einem Konzept der deutschen Finanzbehörden und wurde von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) von 2008 bis 2012 in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Industrie entwickelt und erprobt. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert. Die gesamte INSIKA-Spezifikation ist veröffentlicht und enthält keine patentierten Technologien oder Komponenten. Durch die Veröffentlichung können auch nachträglich keine Patentansprüche geltend gemacht werden. Der ADM e.V. hat keine wirtschaftlichen Interessen am INSIKA-Verfahren. Das Hauptanliegen der Mitglieder liegt vielmehr darin, ein möglichst sicheres, preiswertes und einfach zu nutzendes Verfahren zur Absicherung elektronischer Aufzeichnungen von Bargeschäften zu etablieren – und dabei eine echte Alternative zu konventionellen, sehr aufwändigen „Fiskalkassensystemen“ zu bieten. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Rechtssicherheit für die Anwender der Systeme. Daher ist der ADM e.V. sehr an einem konstruktiven Austausch über Verbesserungsmöglichkeiten und/oder grundsätzliche Alternativen interessiert. Diese Diskussion soll durch die Veröffentlichungen des ADM e.V. gefördert werden.

Die Umsetzung scheiterte, jedoch am damaligen Finanzminister Schäuble (CDU), da dieser diese Frage nicht national, sondern auf EU-Ebene behandelt sehen möchte:

Eigentlich sollten die manipulationssicheren Kassen bereits 2008 eingeführt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde vom Kabinett seinerzeit jedoch vertagt. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte in der Vergangenheit die Einführung manipulationssicherer Kassensysteme gefördert. Unter dem Namen INSIKA (Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme) liegt ein marktreifes System vor. Bundesfinanzminister Schäuble blockierte jedoch bislang die Einführung in Deutschland. In einem Schreiben vom 2. Juni, das Kontraste vorliegt, spricht er sich gegen eine Verpflichtung von Unternehmen für INSIKA aus und fordert zugleich eine „Harmonisierung der Anforderungen“ auf EU-Ebene. Die Finanzminister der Länder stellten auf ihrer Konferenz am 25. Juni fest, dass „wegen der sich immer schneller ausbreitenden Möglichkeiten der systematischen Steuerhinterziehung bei Bargeldschäften“ dringender Handlungsbedarf bestehe und die Einführung sicherer Kassensysteme erforderlich sei. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/manipulierte-ladenkassen-101.html

 

Befeuerung vom Bundesrechnungshof

Offenkundig mit der Absicht verknüpft, die sich unversöhnlich gegenüberstehenden Ministerien Wirtschaft (CDU) und Finanzen (damals CDU, heute SPD)zu einer Lösung zu  drängen veröffentlichte der eigentlich dem Finanzministerium unterstehende Bundesrechnungshof die spekulative Einschätzung, daß durch diese Blockade dem Fiskus  jährlich  10 Milliarden Eur. an Einnahmen entgehen würden.

Nach einer Schätzung des Bundesrechnungshofs werden in Deutschland jährlich Steuern in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro bei Bargeldgeschäften durch manipulierte Ladenkassen hinterzogen. Dies geht aus einer dem ARD-Politikmagazin Kontraste vorliegenden Prüfungsmitteilung an das Bundesfinanzministerium hervor. Wörtlich heißt es: „Die Steuerausfälle bei bargeldintensiven Unternehmen haben ein erhebliches Ausmaß erreicht. Selbst bei einer Eisdiele stellte ein Finanzamt Steuerhinterziehungen von 1,9 Mio. Euro fest. Die jährlichen Steuerausfälle werden auf bis zu 10 Mrd. Euro geschätzt.“

Der Bundesrechnungshof weist bereits seit 2003 auf Manipulationen an Kassensystemen und die daraus folgende Steuerhinterziehung hin. Die Behörde empfahl deshalb die Einführung manipulationssicherer elektronischer Ladenkassen-Systeme in bargeldintensiven Bereichen wie Gastronomie und Handel. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, „dass sich die Besteuerung bargeldintensiver Unternehmen verbessert“ habe.

Die Einführung manipulationssicherer elektronischer Kassen und Kassensysteme sollte bereits 2008 erfolgen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde vom Kabinett seinerzeit jedoch vertagt.

Das Bundeswirtschaftsministerium hatte in der Vergangenheit die Einführung manipulationssicherer Kassensysteme gefördert. Unter dem Namen INSIKA (INtegrierte SIcherheitslösung für messwertverarbeitende KAssensysteme) liegt ein marktreifes System vor. Bundesfinanzminister Schäuble blockierte jedoch bislang die Einführung in Deutschland. In einem Schreiben vom 2. Juni 2015, das Kontraste vorliegt, spricht er sich gegen eine Verpflichtung von Unternehmen für INSIKA aus und fordert zugleich eine „Harmonisierung der Anforderungen“ auf EU-Ebene.

Die Finanzminister der Länder stellten auf ihrer Konferenz 25. Juni 2015 dagegen fest, dass „wegen der sich immer schneller ausbreitenden Möglichkeiten der systematischen Steuerhinterziehung bei Bargeschäften dringender Handlungsbedarf besteht.“ und die Einführung sicherer Kassensysteme erforderlich ist.“