Island: Wie das Land mit der zunächst höchsten Pro-Kopf-Infektionsrate Europas ohne Lockdown als wohl erster Staat der Welt wieder „Corona-frei“ wurde

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Island#/media/Datei:COVID-19_Cases_in_Iceland_per_capita.svg

REAKJAVIK – Am 25. Mai hoben die isländischen Behörden den am 28. Februar verhängten Ausnahmezustand auf. Die Regierungschefin zelebrierte dies mit einem Ständchen. Der Ausnahmezustand war in Island noch am selben 28. Februar in Kraft gesetzt worden, als die erste lokale COVID-19-Infektion bestätigt wurde und konnte dann bereits ab dem 14.4. gelockert werden. In Deutschland reiste die erste mit Covid-19 infizierte Person am 19.1.2020 ein und der „Ausnahmezustand“ wurde erst ca. 2 Monate später ausgerufen, als sich bereits Tausende infiziert haten.

Viele blicken dieser Tage gespannt auf Schweden und diskutieren den „Sonderweg“ Schwedens.

 

Viel interessanter ist hingegen die Entwicklung in Island.

Island hat in der Corona-Krise vieles anders gemacht als andere Länder. So hat Island die Pandemie überstanden, ohne auf die nahezu vollständigen sozialen und wirtschaftlichen Abschaltungen zurückzugreifen, die in vielen anderen europäischen Ländern erzwungen wurden. Infizierte Menschen und ihre Kontakte wurden zwar auch unter Quarantäne gestellt, aber der Rest der Bevölkerung war nicht gezwungen, zuhause zu bleiben, sondern war nur aufgerufen, vorsichtig zu sein.

 

Island lockerte den „Lockdown“, bei dem Geschäfte und Restaurants immer offen blieben, bereits am 14.4.

Kaum ein anderes Land hat das Coronavirus so schnell eingedämmt wie die Insel im Nordatlantik. Am 14.4. konnte Island aufgrund der früh eingeleiteten Maßnahmen dann bereits seine Lockdown-Maßnahmen reduzieren.

Island plant, einige seiner Beschränkungen für die Sperrung von Coronaviren zu lockern, indem Friseursalons, Museen und Schulen Anfang Mai wiedereröffnet werden. Die Regierung sagte jedoch, dass Nachtclubs, Fitnessstudios, Bars und Schwimmbäder geschlossen bleiben werden. Maßnahmen wie eine Zwei-Meter-Regel zur sozialen Distanzierung würden bestehen bleiben, während die Grenze für große Versammlungen am 4. Mai von 20 auf 50 Personen gelockert würde, teilte die Regierung der Atlantikinsel in einer Erklärung am Dienstag mit.

Island befindet sich seither in der zweiten Phase der Lockerung der COVID-19-Beschränkungen. „Ausnahmezustand“ bedeutet in diesem Fall aber nicht „Lockdown“ von er Art, wie er in Mitteleuropa praktiziert wurde. Ein Bündel von Maßnahmen hat Island bislang vor einem derartigen harten Lockdown bewahrt. In Island blieben die meisten Restaurants und Geschäfte blieben, solange Abstandsregeln eingehalten werden konnten. Auch viele andere Maßnahmen sind milder ausgefallen als in anderen Teilen Europas oder in Deutschland. Auch Grundschulen und Kindergärten liefen weiter, Versammlungen bis 20 Menschen waren möglich. Seit 4. Mai sind zudem die Universitäten und Museen wieder geöffnet, für den Sommer werden sogar Veranstaltungen bis 2000 Menschen erwartet.

In Deutschland hingegen hat Angela Merkel am 20.4.2020 das Bedürfnis der Deutschen nach Freiheit noch mit ihrer despektierlichen Bezeichnung als „Öffnungsdiskussionsorgien“ gebrandmarkt.

 

Wie hat das Land das geschafft?

Ein Grund war die bessere Vorbereitung Islands. Bereits ab 2004 hatte die Regierung Islands Krisenpläne für eine Pandemie erarbeitet.

„Wir haben verschiedene Partner in der Gesellschaft auf eine solche Situation vorbereitet, und so war es für uns relativ einfach, unsere Krisenpläne zu aktivieren“, sagte islands Chef-Epidemiologe Gudnason.

„Von Anbeginn an wußte in Island daher jeder, was er zu tun hatte“

Unter der Webadresse „covid.is“ gab Gundasons Behörde in acht Sprachen Tipps zum Social Distancing. Bevor überhaupt der erste Fall identifiziert war, informierte die Regierung in täglichen Pressebriefings über den aktuellen Stand. Die Medien verbreiteten Warnhinweise und Abstandsregeln.

Am 28. Februar bestätigte Island den ersten Fall von COVID-19, ein isländischer Mann in den Vierzigern, der auf einer Skitour in Andalo an der Grenze vom Trentino nach Südtirol gewesen war und bereits am 22. Februar nach Hause zurückkehrte. Als er nach seiner Ankunft Symptome entwickelte, wurde er im Landspítali-Krankenhaus in Reykjavík unter Quarantäne gestellt.

Daraufhin erklärte die Nationale Kommission der isländischen Polizei bereits den Notstand.

Am 1. März wurden ein zweiter und ein dritter Fall bestätigt, ein isländischer Mann in den Fünfzigern, der am 29. Februar aus Verona heimgekehrt war, und eine Frau in den Fünfzigern, die über München aus Italien zurückgekehrt war.

Am 2. März wurden weitere sechs Fälle bestätigt, so dass sich die Gesamtzahl auf neun erhöht: fünf Männer und vier Frauen. Alle Fälle waren bis dahin in der Gegend von Reykjavík zu verzeichnen. Fünf dieser Fälle wurden bis nach Italien zurückverfolgt.

Als Reaktion darauf hat das isländische Gesundheitsdirektorat Italien als Risikogebiet für die Krankheit definiert, und über alle, die aus Italien nach Island kommen, wurde eine 14-tägige Hausquarantäne verhängt.

Erst der neunte Fall Islands ist  der inzwischen berühmt gewordene Fall eines Isländers, der sich in Österreich aufgehalten hat und am 1. März nach Hause geflogen ist. Nachdem dann noch weitere Fälle bis in den österreichischen Urlaubsort Ischgl zurückverfolgt wurden, definierte die isländische Gesundheitsdirektion Ischgl als Hochrisikogebiet.

Die Behörden des Bundeslandes Tirol in Österreich stellten hingegen die Behauptung auf, daß sich die aus Ischgl zurückkehrenden Isländer eher auf ihrem Flug von München infiziert gehabt hätten, was wiederum von den isländischen Gesundheitsbehörden als „sehr unwahrscheinlich“ angesehen, da diese Gruppe schon sehr bald nach dem Flug Symptome zeigte.

Am 3. März wurden in einem offiziellen Pressebericht Sanktionen für diejenigen angekündigt, die die Quarantäne verletzen, einschließlich einer bis zu dreimonatigen Haftstrafe, da dies als absichtliche Verbreitung des Virus angesehen wird.

Am 4. März informierte Islands Chef-Epidemiologe Thorolfur Gudnason die österreichische Bundesbehörde über die in Ischgl erfolgte Infektion seiner Landsleute mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) und meldete die Epidemie im europäischen Frühwarn- und Reaktionssystem (EWRS). Damit waren sie für Island auf der selben Stufe wie Iran, Südkorea und Wuhan.

Das kümmerte aber offenbar weder die deutschen Behörden, noch die Behörden Österreichs. letztere behaupteten einfach, die Touristen hätten sich auf dem Weg nach München, oder im Flugzeug angesteckt und erstere schwiegen hierüber. Damit war für die Behörden Deutschlands und Österreichs diese Angelegenheit offenbar erst einmal erledigt. In Ischgl konnte die Party z.B. in der Après-Ski-Bar „Kitzloch“ ungestört weitergehen und noch tausende infizieren. Während die Behörden Islands alle Rückkehrer bereits systematisch auf das neuartige Virus testeten werden sich die Behörden Deutschlands noch über einen Monat weigern, Flugpasssagiere zu testen, oder gar Flughäfen zu schließen.

Die Isländer infizierten sich damit später, als Betroffene in Deutschland, kamen aber mit einem weicheren Lockdown aus und konnten diesen viel früher wieder verlassen, als ein Land auf dem Kontinent. Ein Grund, sie waren vorbereitet, nahmen ihre Krisenpläne Ernst und setzten sie um und mußten offenbar keine Rücksicht auf Interessen Dritter, wie z.B. China nehmen.

 

Testen, testen, testen

Der Erfolg Islands ist teilweise ein Beweis für seine winzige Bevölkerung – nur 360.000 Menschen. Es spiegelt aber auch entschlossene Maßnahmen der Behörden wider, die eine strenge Politik des Testens und Verfolgens angewendet haben, um infizierte Personen zu finden und zu isolieren, selbst wenn sie keine Symptome hatten.

Es gab also noch einen weiteren Grund: Mit weitreichenden Tests folgten die Isländer auch der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Deren Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bezeichnete das Testen und Verfolgen von Infektionsketten als „Rückgrat“ zur Bekämpfung der Pandemie – noch vor dem Händewaschen und dem Einhalten von Abstandsregeln. Bereits am 16.3.2020 meldeten die Agenturen:

„Wir haben eine einfache Botschaft: Testen, testen, testen“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag in Genf. „Man kann ein Feuer nicht mit verbundenen Augen bekämpfen.“

Es sei gut, dass in vielen Ländern inzwischen viel mehr Maßnahmen ergriffen worden seien, die soziale Distanz der Menschen untereinander zu erhöhen, sagte der WHO-Chef weiter.

Als Glücksfall erwies sich für Island auch eine Kooperation mit dem privaten Forschungsunternehmen Decode Genetics, das umfangreiche Testkapazitäten zur Verfügung stellte, bereits vier Wochen vor dem ersten bestätigten Fall. Als mit der Touristengruppe aus Ischgl erstmals ein Test anschlug, wurden die Kapazitäten rasch erhöht.

Das Ergebnis dieser Bemühungen war, daß

57 Prozent der in Island mit dem neuartigen Coronavirus diagnostizierten Personen bereits in Quarantäne waren

ein Spitzenwert!

 

Island hatte Anfang April 2020 bereits 5% der Bevölkerung getestet und dabei eine Gesamtinfektionsrate in der Bevölkerung von 0,3% entdeckt

Bereits am 7.4. galt: Island hat eine der höchsten Infektionsraten der Welt; Dies kann jedoch darauf zurückzuführen sein, dass der arktische Staat eines der Länder der Welt ist, in dem die meisten Einwohner auf das Virus getestet werden. Viele haben ihre Infektion gar nicht bemerkt.

Die isländische Infektionsrate betrug damals 1 Fall pro 357 Einwohner und ist damit eine der höchsten der Welt. Dies kann jedoch daran gelegen haben, dass Island eines der Länder der Welt ist, das den höchsten Anteil seiner Einwohner auf das Virus testet. Bis dahin wurden rund 20.000 Menschen getestet, was fünf Prozent der Bevölkerung entspricht.

Die isländischen Gesundheitsbehörden haben deCODE Genetics, ein medizinisches Forschungsunternehmen mit Sitz in Reykjavik, beauftragt, den Testprozess zu unterstützen. Der Firmengründer Dr. Kari Stefansson wurde am vergangenen Dienstag von CNN interviewt. Dort gab er bereits Anfang April an, dass etwa 50 Prozent derjenigen, die positiv auf das Virus getestet wurden, asymptomatisch waren.

Vorläufige Untersuchungen legen nahe, dass ein Drittel derjenigen, die bei deCODE positiv getestet wurden, jemanden in ihrer Umgebung infizierten, was den Nachweis erbringt, dass stille Träger die Krankheit übertragen, jedoch viel weniger als symptomatische Patienten.

Dies könnte darauf hinweisen, dass asymptomatische Menschen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Virus gespielt haben.

DeCODE testete keine Personen, die sich bereits krank fühlten oder sich in Quarantäne befanden und in Krankenhäusern getestet wurden. Das Unternehmen nutzte seine Einrichtungen, um einen Querschnitt der Bevölkerung zu testen, und identifizierte zahlreiche neue Fälle, darunter Menschen mit leichten oder keinen Symptomen.

Eine Woche später, am 16.4. hatte Island bereits 10% der Bevölkerung getestet und dabei eine Gesamtinfektionsrate in der Bevölkerung von 0,8% entdeckt

Rund 50.000 Menschen, also 13 Prozent der Bevölkerung, haben sich in den ersten sechs Wochen auf das Virus testen lassen, die meisten davon freiwillig und frei von Symptomen. In Südkorea, das international für sein engagiertes Testen gelobt wird, liegt der Wert bei einem Prozent. Damit hat Island Erkenntnisse gewonnen, die auch anderen Ländern bei der Bekämpfung der Pandemie helfen können: Etwa, dass 50 Prozent aller Infektionen in Island asymptomatisch verliefen und Corona deshalb auch von Menschen übertragen werden kann, die sich eigentlich gesund fühlen. John Ioannidis, Stanford-Professor und einer der führenden Epidemiologen, fasste es so zusammen: „Island ist das beste lebende Coronavirus-Labor.“

 

Islands Erfahrung: Die Tracking-App bringt keinen Mehrwert

Und Rückkehrer aus Risikogebieten wurden konsequent isoliert und Infektionsketten bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt. Dafür wurden sogar Krankenschwestern und Polizisten zu Detektiven ausgebildet.

Neben den Tests richteten die Zivilschutzbehörden ein Kontaktverfolgungsteam ein, dem Polizisten und Studenten angehörten, das mithilfe von Beinarbeit und Telefonanrufen Personen identifizierte, die mit infizierten Personen in Kontakt gekommen waren. Einige Wochen später war eine Handy-Tracing-App in Betrieb.

In der Bevölkerung finden diese Maßnahmen Anklang. 90 Prozent der Isländer sind zufrieden mit der Arbeit von Premierministerin Katrín Jakobsdóttir und der von ihr geführten Links-Rechts-Regierung.

Flankiert wurde die Testoffensive Mitte April von einer Corona-App, wie sie auch in Deutschland demnächst kommen soll. „Rackning C-19“, isländisch für „Tracking“, fragt Handynutzer mit einer positiven Corona-Diagnose, ob sie den Gesundheitsbehörden ihre letzten GPS-Standorte zur Verfügung stellen. Dann können Personen ermittelt werden, die in Kontakt mit einem Erkrankten gekommen und ebenfalls infiziert sein könnten. Die Daten werden datenschutzkonform auf dem Handy gespeichert und nur bei Zustimmung geteilt. 38 Prozent der Isländer, die traditionell als wissenschaftsfreundliches Volk gelten, haben die App auf ihrem Handy installiert. Das sind Werte, von denen man in anderen Ländern nur träumt.

Und die Erkenntnis? „Die Technik ist mehr oder weniger … ich würde nicht sagen nutzlos“, so Gestur Pálmason vom isländischen Polizeidienst, der die Kontaktverfolgungen überwacht, „aber es ist die Integration der beiden, die zu Ergebnissen führt.“ Pálmason zufolge hat sich die Technik in einigen Fällen als nützlich erwiesen, brachte aber bislang keinen Durchbruch.

Nun macht sich Island allmählich an die Öffnung des Tourismus, einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in dem Land. Seit dem 15. Mai können Geschäftsreisende, Filmemacher, Wissenschaftler und Sportler einreisen, sofern sie ein negatives Testergebnis vorweisen können. Einen Monat später sollen dann auch die Grenzen für normale Touristen öffnen. Um eine 14-tägige Quarantäne zu vermeiden, sollen jedem Einreisenden Tests zur Verfügung stehen. Ob diese kostenlos sind, ist noch unklar.

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