Alter Charité-Chefvirologe gegen neuen Charité-Chefvirologen: Ehem. Chef von Prof. Drosten kritisiert seinen Nachfolger wegen Fixierung auf Inzidentien

Böttger Paul (1851-1933): Institut für Infektionskrankheiten der Charité, Berlin (1892) Public Domain

BERLIN – Zwei der qualifiziertesten Virologen Deutschlands wollen den Inzidenzwert durch die täglichen Neuaufnahmen auf den Intensivstationen ersetzen, um so ein aussagekräftigeres Bild über Covid zu erhalten und über das aktuelle Infektionsgeschehen und über die Auslastung der Krankenhäuser, die Covid bewirkt.

 

Mit einem offenen Brief an den Deutschen Bundestag raten zwei der profiliertesten Virologen Deutschlands davon ab, die 7-Tages-Inzidenz als Grundlage weiteren Handelns ins Gesetz zu schreiben.

„Wir raten dringend davon ab, bei der geplanten gesetzlichen Normierung die ‚7-Tages-Inzidenz‘ als alleinige Bemessungsgrundlage für antipandemische Schutzmaßnahmen zu definieren.“,

schreiben die beiden Gesundheitsexperten Detlev Krüger und Klaus Stöhr an den Bundestag. mit diesem Appell richten sich beide gegen das Vorhaben eine offene und aufgeklärte Gesellschaft mit Hilfe der Instrumentalisierung in eine paternalistische Gesellschaft umzubauen, in der der Staat den Bürgern vorschreibt, was für sie gut und richtig ist.

„In einer aufgeklärten Gesellschaft kann man Menschen auch durch sachliche Informationen zu ordentlichem Verhalten bewegen. Man sollte Respekt vor diesem Virus haben, aber Angst ist völlig fehl am Platz.“

Ihnen ist ein Dorn im Auge, daß die Merkel-Anhänger, zu denen auch Markus Söder zählt, harte Freiheitsbeschränkungen wie Ausgangssperren ab einer Inzidenz von 100 gesetzlich zu verankern und ab einem Wert von 200 sogar noch weitere Einschränkungen, wie Schulschließungen zu verfügen.
Hinzu kommt, daß Klagen gegen dieses Gesetz nur bei Bundesgerichten anhängig gemacht werden können, als bei Gerichten, bei denen die Bundesregierung eine Auswahl auf die Richter hat.

Bei den beiden handelt es sich nicht etwa um irgend welche Virologen, sondern um die wohl profiliertesten, die Deutschland zu bieten hat:

  • Krüger war 27 Jahre lang Leiter des Virologischen Instituts der Berliner Charité, im Jahr 2017 folgte auf ihn Christian Drosten.
  • Stöhr ist ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

 

Inzidentien sind dumm

Der Gedanke der beiden ist  auch vollkommen zutreffend, denn unter dem Begriff „Inzidenz“ versteht man rein formal den

„Prozentualen Anteil des Neubefalls von Wirtsindividuen in einem bestimmten Zeitabschnitt, bezogen auf die Zahl Nichtinfizierter zu Beginn dieser Zeit“

So gibt es eine

  • Inzidenz von Masern
  • Inzidenz von Röteln
  • Inzidenz von Grippe/Influenza

Obwohl die Masern und die Röteln gefährlicher sind, als die Influenza-Grippe, sind deren Werte kleiner als die der Grippe. Vergleichbares geschieht auch innerhalb einer Gattung. Nicht jedes Jahr sind die auftretenden Grippe/Influenza-Stämme gleich gefährlich. Von daher gesehen ist und bleibt die Inzidenz dumm und im Kern aussagelos.

Hinzu kommt das bereits vielfach vorgetragene Argument, daß der Schwellwert von 50 keinerlei virologische Rechtfertigung hat, sondern ein politisch gesetzter Willkürakt ist. Ganz zu schweigen davon daß dieser wert gesetzt wurde, als noch behautet wurde, daß es sich bei Covid um eine Art „Killer-Virus“ handelt.

.

Neue Kritikpunkte an Inzidentien

In ihrem Appell führen die beiden nun neue Argumente gegen die Verwendung von Inzidentien an: Eines davon ist, daß sie das Geschehen in einem Teil der Bevölkerung auf die gesamte Bevölkerung ausweiten. Dieser Effekt verstärkt sich mit der Ausweitung der Testaktivitäten.

„aufgrund der durchaus erwünschten Ausweitung von Testaktivitäten zunehmend weniger die Krankheitslast in der Gesellschaft wieder“,

geben die beiden zu bedenken. Das ist auch zutreffend, denn als man noch die nur symptomatischen testete, wußte man mit Hilfe der Tests, was auf die Krankenhäuser zukommt. Wenn man nun die gesamte Bevölkerung testet, dann werden auch die asymptomatischen getestet. Unter den Asymptomatischen auch diejenigen, die Träger von Totmaterial von Viren sind und niemals daran erkranken werden. Auch diese werden als „positiv“ gemeldet und ihnen wird dann durch Quarantänemaßnahmen die Freiheit entzogen werden.

Und weiter:

„Die im Gesetzesvorhaben vorgesehene 7-Tages-Inzidenz differenziert nicht, in welchen Altersgruppen, Lebensräumen und Bevölkerungsgruppen Infektionen auftreten. Eine gleich hohe Inzidenz kann dramatisch unterschiedliche Bedeutung haben …“

Auf diesem Weg schaffen sich die Altparteien sogar dann, wenn es weniger Patienten in Krankenhäusern als bei Grippewellen gibt, die Möglichkeit

„massive Einschränkungen der Freiheitsrechte mit gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und die körperliche und seelische Gesundheit“

zu verhängen.

.

Prof. Krüger lag bisher richtiger, als Prof Drosten

Hinzu kommt, daß Prof. Krügers Einschätzungen bisher zutreffender waren als die seines Kollegen Drosten. 

Professor Detlev Krüger war 27 Jahre lang der Leiter der Virologie an der Charité. Er studierte Medizin in Berlin. 1976 wurde er bei Hans-Alfred Rosenthal promoviert. 1981 folgte die Habilitation im Gebiet der Virologie und Molekulargenetik. 1982 erhielt er einen Rudolf-Virchow-Preis und 1984 eine Carl-Correns-Medaille. Von 1989 bis 2016 wirkte er als ordentlicher Professor und als Direktor des Institutes für Virologie an der Charité in Berlin. Seither ist er Seniorprofessor. Sein Nachfolger am Institut für Virologie wurde Christian Drosten.

Hinsichtlich der Einschätzung der Covid-19-Pandemie 2020/2021 war Krüger der Auffassung, es handele sich um eine der Grippewelle vergleichbare Erscheinung, wobei er wohl mit den für Grippewellen üblichen 20.000 Toten rechnete. Vor einem Jahr, Ende März 2020 vertrat er die Position:

„Wir haben in Deutschland bis heute deutlich mehr Tote durch Grippe oder durch im Krankenhaus erworbene Infektionen als durch das Corona-Virus. Das scheint in der öffentlichen Diskussion völlig ausgeblendet zu werden.“ 

Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-13-de.pdf?__blob=publicationFile

Und er wäre wohl auch über das gesamte Jahr 2020 auch richtig gelegen mit seiner Einschätzung, wenn Angela Merkel nicht am Mittwoch, den 11.11.2020 der KW 46 bei einer Inzidenz der über 90-Jährigen von 282 den Pflegetag nutzte, um mit den Worten:

„Aber Schutz allein kann nicht die ganze Antwort sein. Pflegebedürftige Menschen brauchen neben Schutz auch Zuwendung, allen voran von ihren Angehörigen. Daher ist es wichtig, alle Spielräume für Besuche und soziale Kontakte auszuschöpfen.“

den Schutz der vulnerabler Gruppen in den Pflegeheimen aufzugeben, um so den Besuchern Covid noch leichter den Weg in die Alten- und Pflegeheime zu ermöglichen. Das Ergebnis war, daß sich die Belastung der über-90-Jährigen in der Woche vor Weihnachten noch bis auf eine wöchentliche Inzidenz von 727 explodieren wird.

Die bis dahin zu verzeichnende eklatante Untersterblichkeit wird in den letzten Wochen des Jahres in eine – im Jahresmittel – in eine leichte Übersterblichkeit gedreht, mit dem Ergebnis, daß Covid  gemessen an den Sterbezahlen anstieg, aber noch weit unter den Grippe-Jahr von 2015 blieb.

Doch nicht nur in dem einen Punkt, daß sich Covid wohl in Sterbezahlen, wie bei einer schweren Grippe bemerkbar machen wird, praktisch auch in allen anderen Punkten vertritt er eine gegenteilige Position zu seinem Nachfolger Drosten:

Außerdem forderte er, daß

  • das „Kaputtsparen“ der Kliniken in Deutschland endlich ein Ende haben muß. In der gegenwärtigen Situation zeige sich, wie wichtig funktionierende Kliniken und qualifiziertes medizinisches Personal seien. Und er forderte, daß
  • Schulen und Kitas öffnen, auch wenn die Inzidenz von 50 noch nicht erreicht ist. Denn er befürchtet, dass die Kollateralschäden schlimmer sind als der Nutzen des Lockdowns. Prof. Detlev Krüger, langjähriger Leiter der Virologie an der Charité und Vorgänger von Prof. Christian Drosten, diskutiert in #coronanachgehakt mit Moderator Alfred Schier über Alternativen zum #Lockdown.
Diese und weitere Positionen, die Christian Dosten wohl gar nicht gefallen werden, vertrat er auch in einem Interview bei Phoenix, wobei erkennbar ist, daß der Moderator sich alle Mühe gab, Krüger auf Linie zu bürsten. Das Interview ist – aus welchen Gründen auch immer – nicht in andere Texte einbettbar. Man findet es hier.

.

Franz Bergmüller, wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD Fraktion in Bayern teilt die Position von Prof. Krüger

Aufmerksame Leser von Rosenheim-Alternativ werden die Positionen von Prof. Krüger bekannt vorkommen, denn diese Positionen werden von der AD im Landtag seit langer Zeit vertreten und perlen an der Staatsregierung regelmäßig ab, die in einer Art Bunkermentalität unabhängig von allen an sie herangetragenen Fakten am Fetisch Inzidenz-Zahl festhält. Der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD Fraktion in Bayern Franz Bergmüller faßt dazu erneut zusammen:

Wer es jetzt noch nicht kapiert, dass bei einem Festhalten an den Inzidenzwerten als alleiniges Kriterium ein Dauer-Zick-Zack-Lockdown samt verschärften Quarantäne und Testpflicht vor Ladenbesuchen droht.

Die Dienstleistungsbranche, das Gastgewerbe, Teile des Handwerkes und der Handel werden vollkommen ruiniert.

Dies alles vor dem Hintergrund, dass ein positiv Getesteter in über 98 % kein Kranker ist. Ohne Herdenimmunität durch Ansteckung oder Impfen werden wir nicht zur Normalität zurück kehren.

.

Offener Brief an den Deutschen Bundestag

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine Novellierung des IfSG zur bundesweiten Vereinheitlichung des Vorgehens gegen die Corona-Pandemie bedarf verlässlicher Entscheidungsgrundlagen. Wir raten dringend davon ab, bei der geplanten gesetzlichen Normierung die „7-Tages-Inzidenz“ als alleinige Bemessungsgrundlage für antipandemische Schutzmaßnahmen zu definieren.

1. Mit „Inzidenz“ bezeichnet das RKI die Zahl der Personen, bei denen unabhängig von einer Erkrankung mittels Diagnostiktest eine Infektion mit SARS-Coronavirus-2 gefunden wurde, pro 100.000 Bevölkerung. Dieser Wert gibt – aufgrund der durchaus erwünschten Ausweitung von Testaktivitäten – zunehmend weniger die Krankheitslast in der Gesellschaft wieder. Zudem unterliegt dieser Wert zunehmend schwankenden Erfassungswahrscheinlichkeiten, die völlig unabhängig vom eigentlichen Infektionsgeschehen sind.

2. Bewertungsgrundlage für die Auswahl von Schutzmaßnahmen sollte nicht die Inzidenz der Infektionen sein, sondern vielmehr die Häufigkeit der Erkrankungen und ihrer jeweiligen Schwere, also insgesamt die Krankheitslast. Die Krankheitslast berücksichtigt unter anderem Hospitalisierungen, krankheitsbedingten Arbeitsausfall, Behinderung und verlorene Lebensjahre.

3. Die im Gesetzesvorhaben vorgesehene 7-Tages-Inzidenz differenziert nicht, in welchen Altersgruppen, Lebensräumen und Bevölkerungsgruppen Infektionen auftreten. Eine gleich hohe Inzidenz kann dramatisch unterschiedliche Bedeutung haben, je nachdem ob sie zum Beispiel bei primär gesunden Studierenden, bei schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen, bei besonders vulnerablen Menschen, oder diffus in der Gesamtbevölkerung verteilt gemessen wird.

4. Die 7-Tages-Inzidenz eines Landkreises berücksichtigt weder die Dynamik noch die Lage in angrenzenden Landkreisen. Eine gleich hohe 7-Tages-Inzidenz kann in einem Szenario (z.B. Verschlechterung der Lage in Nachbarregionen) eine Verschärfung von Maßnahmen erfordern, während sie in einem anderen Szenario (z.B. stark sinkender Trend) gar eine Lockerung erlauben könnte.

Risiken:

In der Konsequenz würde die gesetzlich verbindliche Koppelung von Maßnahmen an die 7-Tages-Inzidenz der Infektionen zur Folge haben können, dass selbst dann massive Einschränkungen der Freiheitsrechte mit gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und die körperliche und seelische Gesundheit erfolgen müssten, wenn längst weniger krankenhauspflichtige Erkrankungen als während einer durchschnittlichen Grippewelle resultierten. Ein solches Szenario ist im Falle eines zunehmenden Impferfolgs durchaus realistisch und zeitlich absehbar.

Die öffentlich derzeit verfügbaren Entwürfe zur Novelle des IfSG verschärfen den Mangel an Sachbezug und die Gefahr einer Verletzung der Verhältnismäßigkeit wie bereits in Bundestagsanhörungen am 12.11.2020 und 22.02.2021 erläutert [1] [2].

Vorgeschlagene Alternative:

Eine leicht zu bestimmende und zu kommunizierende Bemessungsgrundlage wäre die tägliche Anzahl der COVID-bedingten intensivstationären Neuaufnahmen, differenziert nach Landkreis des Patientenwohnortes, Alter und Geschlecht mit Berücksichtigung diesbezüglicher zeitlicher Trends. Dies ist nicht zu verwechseln mit der im DIVI Register derzeit berichteten „Anzahl der mit Covid-19 belegten Intensivbetten“, welche per se auch eine wichtige Information bezüglich der Versorgungslage liefert. Die Zahl intensivstationärer Neuaufnahmen kann die Dynamik des Infektionsgeschehens besser abbilden als die intensivmedizinische Belegungsstatistik[3].

Damit diese Werte zeitnah, vollständig und integriert in der bestehenden digitalen Meldestatistik den Kommunen, Landesbehörden und des RKI verfügbar werden, müssten lediglich kleinere Anpassungen in den Paragraphen 6 und 11 des IfSG vorgenommen werden.

Wir bitten Sie daher Ihren Einfluss geltend zu machen, die aktuell anstehende Änderung des IfSG so zu gestalten, dass die inzwischen von vielen als schädlich – mindestens als unwirksam – erkannten Folgen des im November geschaffenen § 28a IfSG, korrigiert und nicht noch verschärft werden.

Für fachliche Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Prof. Dr. med. Detlev H. Krüger* Prof. Dr. Klaus Stöhr**

* Direktor i.R. des Instituts f. Virologie der Charité Berlin