Bayerischer Verwaltungsgerichtshof revidiert eigene Rechtsprechung: Das Atmen frischer Luft ist in Pandemiezeiten durch die Staatsregierung nun doch nicht verbietbar

Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f0/Muenchen-Verwaltungsgerichtshof1-Bubo.JPG

MÜNCHEN – Justizskandal, der (bisher) niemanden interessiert! Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hebt während einer Inzidenz von 200 für Ungeimpfte die eigene Rechtsprechung auf, die er für eine Inzidenz von 61 für Ungeimpfte gefällt hatte, um im Sinne der Vorgaben der Staatsregierung den Bürgern zu verwehren alleine und vor der eigenen Haustüre frische Luft  atmen zu können/dürfen.

 

Betrachtet man das aktuelle Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs etwas genauer, dann hätte jeder vernünftig denkende Mensch einen derartigen Skandal vor dem Januar 2020 im „Rechtsstaat“ Deutschland für absolut unmöglich gehalten! So stellt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts fest:

die Erosion unserer Freiheitsrechte hat auch keineswegs mit der Corona-Krise begonnen, sondern wurde durch die Pandemie lediglich erheblich beschleunigt

Mit anderen Worten: der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts sieht in Markus Söder einen Freiheitsräuber!

Im Kern geht es darum, daß die bayerische Staatsregierung und die Gerichte in Bayern 13 Millionen Bürgern des Landes einen „Hausarrest“ verpasst haben, mit der Auflage zwischen 21Uhr und 6Uhr in der Früh vor der eigenen Wohnungstüre keine Frischluft atmen zu dürfen! Die Staatsregierung hatte diese Vorschrift im März 2020 bei einer Inzidenz von um die 55 das erste Mal erlassen und in Januar 2021 bei einer Inzidenz von um die 150 das zweite Mal. Als Grund wurde das Argument aufgebaut, daß sich der vor der eigenen Haustüre Frischluft Atmende dort ggf. mit dem Covid-Virus anstecken könnte!

Am 11.1.2021 wiesen die obersten bayerischen Verwaltungsrichter im Eilverfahren und angesichts einer Inzidenz bei Ungeimpften von 156 nämlich die Klage eines Mannes ab, der für sich erstreiten wollte, auch in Pandemiezeiten das Recht wahrzunehmen, nachts alleine vor der Haustüre frische Luft zu atmen.

Das hatte Ministerpräsident Söder diesem Bürger und auch allen anderen Bürgern in der so genannten „zweiten/dritten“ Welle nämlich per „Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ genommen und sie zwischen 21Uhr und 6Uhr in der Früh grundsätzlich ihrer Freiheit beraubt und unter „Hausarrest“ gestellt gehabt. Nur auf diesem Weg und mit diesen Maßnahmen, so behauptete die Staatsregierung damals, könne die Verbreitung von Covid eingeschränkt werden.

Ziemlich genau neuen Monate später mussten die obersten bayerischen Verwaltungsrichter im Hauptsacheverfahren und angesichts einer Inzidenz am Tag des Urteils von ca. 200 bei Ungeimpften, über einen Fall entscheiden, der sich im März 2020, also zu Beginn der Pandemie und bei einer Inzidenz von um die 55 ereignete, als einem (anderen) Bürger durch die Staatsregierung ebenfalls verwehrt worden war, vor der eigenen Haustüre frische Luft atmen zu dürfen.

 

Oberste Verwaltungsrichter lenken von eigenem Versagen ab, indem sie den Ministerpräsidenten abwatschen

Während also ein und das selbe oberste bayerische Verwaltungsgericht sich im im Januar 2021 noch mit der Staatsregierung gemein machte und es allen Bürgern Bayerns verwehrte, vor der eigenen Haustüre nachts frische Luft zu atmen, drehte sich das Gericht innerhalb von 9 Monaten um 180 Grad und gestand Anfang Oktober 2021 einem, sich hartnäckig durch die Instanzen klagenden Bürger das Recht zu, damals, im März 2020, bei einer Inzidenz von ca. 56 das Recht gehabt zu haben, nachts vor der eigenen Haustüre frische Luft atmen zu dürfen. Die Richter lassen die Maßnahme der Staatsregierung bei der eigentlich vierstufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung beriets an der dritten Stufe (Erforderlichkeit) scheitern, was für juristisch gebildete Personen ein klares Indiz dafür ist, daß die von der Staatsregierung getroffene Maßnahme „total daneben“ ist.

„Deswegen vermag der Senat bereits die Erforderlichkeit der Ausgangsbeschränkung in Bezug auf das Verlassen der Wohnung mit dem Ziel des Verweilens alleine oder in Begleitung von Mitgliedern des Hausstands in der Öffentlichkeit nicht zu erkennen.“

Nur: Im Oktober 2021 hat er nichts mehr davon, dieses Recht im März 2020 gehabt zu haben. Dieses Urteil ist damit zugleich ein vernichtendes Urteil über das eigene Gericht, die im Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz festgeschriebene Rechtswegegarantie umfasst nicht nur den Gerichtsweg, sondern besagt auch, daß der Rechtsschutz „effektiv“ sein muß. Der Rechtsschutz ist aber nur dann „effektiv“, wenn der Kläger auch etwas von seinem „Recht“ hat. Ein Rechtssystem, das im Oktober 2021 dem Kläger das Recht gibt, im März 2020 nachts alleine vor der eigenen Haustüre frische Luft atmen zu dürfen, kann schwerlich als „Rechtsstaat“ bezeichnet werden.

Das Spannende an diesem Urteil: Das eigene Versagen, die Bürger vor einem übergriffigen Ministerpräsidenten zu schützen und den Rechtsstaat aufrecht zu erhalten, verschwieg das Gericht. Dafür watschte es den Ministerpräsidenten umso intensiver ab und versetzte Markus Söder eine umso lauter schallende Ohrfeige:

In dem Urteil ist zu lesen:

„Der vom Antragsgegner vertretene gedankliche Schluss, dass die restriktivere Maßnahme im Vergleich immer die besser geeignete Maßnahme ist, ist dabei in dieser Allgemeinheit unzutreffend“, so das Gericht in seiner 31 Seiten umfassenden Begründung.

Übersetzt dürfte dies so etwas heißen, wie daß „Maulhelden“ und „Kraftmier“ an der Staatsspitze nichts verloren haben.

Die Richter zweifeln nicht nur die „Praktikabilität“ und die „Effektivität“ der Ausgangssperre an, sie bescheinigen der bayerischen Staatsregierung auch ein fragwürdiges Menschenbild, indem sie schreiben:

„Sollte in dem Verweilen in der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Bildung von Ansammlungen gesehen worden sein, weil sich um den Verweilenden sozusagen als Kristallisationspunkt Ansammlungen von Menschen bilden könnten, so unterstellt diese Sichtweise ein rechtswidriges Verhalten der Bürger und setzt dieses sogar voraus.“

Übersetzt dürfte dies so etwas heißen, wie daß die Staatsregierung Bürger als „grundsätzliche Rechtsbrecher“ also als „schlechte Menschen“ ansieht, die die Staatsspitze das Recht hat pauschal vorab eines möglichen Vergehens beriets wegzusperren.

.

Die obersten Verwaltungsrichter Bayerns heben sich selbst auf

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof am 11.01.2021 20 NE 20.3032: Das Verbot zwischen 21h und 6h bei einer Inzidenz von 156 das Haus nicht verlassen zu dürfen schützt Leib und Leben der Bürger

Im Kern ging es um die Rechtsfrage, ob es dem Staat erlaubt ist, Bürger in einer Pandemie daran zu hindern, vor der Haustüre frische Luft zu atmen!

Die Staatsregierung hatte wegen angeblicher Gefahren für Leib und Leben die Bevölkerung auf Basis von § 3 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV, BayMBl. 2020 Nr. 737 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 8. Januar 2020 (BayMBl. 2021 Nr. 5) erneut zuhause eingesperrt gehabt und ihnen verboten zwischen 21Uhr und 6Uhr Früh vor der Türe Frischluft zu schnappen.

Der konkrete Sachverhalt lautete:

„Der Antragsteller trägt vor, aufgrund seiner hohen Arbeitsbelastung sei es ihm oft nicht möglich, tagsüber für längere Zeit an die frische Luft zu gehen. Er sei deshalb darauf angewiesen, hierfür die Abendstunden zu nutzen… Er halte eine Ausgangssperre nach 21 Uhr bereits nicht für geeignet, über dadurch einzuschränkende Kontakte Ansteckungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu vermeiden.“

Das bayerische Gericht hatte vor neun Monaten offenkundig ein massives Problem mit diesem Sachverhalt rechtlich umzugehen, denn es erwähnte diese zugrunde liegende Problematik in seiner Urteilsbegründung an keiner Stelle und schleppte nicht den konkreten Sachverhalt des Bedürfnisses nach Frischluft durch das Urteil, sondern einen hiervon abstrahierten Sachverhalt „möglicher Kontakte“.

.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: 11.01.2021 20 NE 20.3032: Bürger nachts einsperren schützt Leib und Leben der Bürger

Der Senat schloss sich hierzu der Argumentation der evident esotherisch wirkenden Begründung der Staatsregierung an. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung diene demnach der weiteren notwendigen Reduktion von Kontakten – insbesondere mit Blick auf besonders infektionsgefährdende private Zusammenkünfte. Damit diene sie dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems, behaupten Staatsregierung und Gericht:

So argumentierte der VGH München mit Beschluss  vom 11.1.2021 in seiner Eilentscheidung 20 NE 20.3032:

3. Aber selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausginge, würde die im Rahmen des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Folgenabwägung ergeben, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen des Antragstellers an einem Aufenthalt außerhalb seiner Wohnung zwischen 21 Uhr und 5 Uhr (Art. 2 Abs. 1 GG), z.B. zur sportlichen Betätigung im Freien, überwiegen.
Das pandemische Geschehen hat sich erheblich verstärkt. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 10. Januar 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-10-de.pdf? blob=publicationFile) ist nach wie vor ist eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein… Weiterhin ist bei der Interpretation der Fallzahlen zu beachten, dass in den vergangenen 2 Wochen vermutlich weniger Personen einen Arzt aufsuchten, weswegen weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchungen durchgeführt wurden. Dies kann dazu geführt haben, dass weniger Erregernachweise an die zuständigen Gesundheitsämter gemeldet wurden.
In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Freiheitsrechte des Antragstellers. Gegenüber den somit bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von den Ausgangsbeschränkungen Betroffenen derzeit zurücktreten (vgl. auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 – juris Rn. 25; BayVerfGH, E.v. 12.8.2020 – Vf.-34-VII-20 – juris Rn. 24 m.w.N.; BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris Rn. 12 ff.).
Vermutlich waren es Beschlüsse wie diese aus Bayern, die den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts sprachlos machten:

Nur drei Monate später kamen die obersten Verwaltungsrichter in Niedersachsen zu einem genau gegenteiligen Ergebnis von denen in Bayern:

 

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen: 06.04.2021 13 ME 166/21: Bürger nachts einsperren schützt Leib und Leben der Bürger NICHT

Genau gegenteilig urteilte einige Monate später das oberste Verwaltungsgericht Niedersachsens:

Dem war ein Verfahren vorausgegangen, in dem ein Bürger Rechtsmittel in Anspruch genommen hatte,  weil ihm im Raum Hannover verboten wurde, auch nur vor die Türe zu gehen. Das Verwaltungsgericht Hannover gab ihm recht und erlegte der Behörde auf, daß die Behörde darlegen muß, daß wenn diese Maßnahme NICHT ergriffen wird, es zu einer „gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens“ käme. Mit anderen Worten: Die Behörde muß nachweisen, daß sich die Bürger wohl anstecken werden und nur wenn sie das kann, darf sie sie „einsperren“.

Wörtlich schrieb das Landgericht Hannover am 02.04.2021 – 15 B 2883/21:

Zur Begründung von Ausgangsbeschränkungen nach § 28 Abs. 1 Sätze 1, 2, § 28 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG muss dargelegt werden, dass es ohne deren Erlass – auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen – zu einer wesentlichen, im Umfang der Gefahrenrealisierung gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens kommen würde.

Da der Behörde diese Auflage gar nicht gefiel, ging die Behörde in die nächste Instanz und verlor vor dem Oberverwaltungsgericht Niedersachsen ebenfalls. Dieses argumentierte  nur vier Tage später in 13 ME 166 / 21:

(a) Die mit der Ausgangsbeschränkung verbundene Untersagung, dass die von ihr betroffenen Personen in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr beim Nichtvorliegen triftiger Gründe den eigenen Haushalt nicht verlassen und sich daher auch nicht allein oder mit weiteren, ihrem Haushalt angehörenden Personen in der Öffentlichkeit aufhalten dürfen, ist zur Kontaktreduzierung und zur Infektionsvermeidung ersichtlich nicht erforderlich. Etwaige Zufallskontakte zu haushaltsfremden Personen bei Aufenthalten in der Öffentlichkeit sind angesichts deren Singularität und des damit allenfalls verbundenen sehr geringen Infektionsrisikos zu vernachlässigen (vgl. hierzu auch das vom RKI entwickelte Intensitätsstufenkonzept und die Toolbox zum Stufenkonzept, veröffentlicht unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/Stufenplan.pdf?__blob=publicationFile, Stand: 19.3.2021, die sich nicht mit Aufenthalten als solchen, sondern nur mit Zusammenkünften im Freien befassen).

Damit machen diese Richter in Niedersachsen eigentlich nichts Anderes, als daß sie – im Gegensatz zu ihren Kollegen in Bayern – stehende Grundsätze der Verfassung anwenden

Auch das allgemeine legitime Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, rechtfertigt nicht jeden Grundrechtseingriff. Nutzen und Schaden müssen stets in einem angemessenen Verhältnis stehen, und die Beweislast für das Vorliegen der Verhältnismäßigkeit trägt der Staat.

Schwerwiegende Freiheitsbeschränkungen aus bloßer Vorsorge sollte es künftig nicht mehr geben. Wir müssen uns rechtsstaatlich wappnen – das waren wir diesmal lange Zeit nicht.

.

Bayern übernimmt Rechtsprechung aus Niedersachsen

Nachdem das bayerische oberste Verwaltungsgericht durch Ignorieren des Kern des Falls – Ein Bürger will alleine vor der Türe Frischlauft atmen – diesen Bürger, und damit auch alle anderen Bürger Bayerns von dessen Grundrechten abgeschnitten hatte, kommt es an dem durch die Gerichte in Niedersachsen aufgestellten Maßstab nicht mehr vorbei.

Hinzu kommt, daß im September 2021 die Realität wie folgt weiter durchgesetzt hat: Am Tag der Entscheidungsverkündung der Eilentscheidung aus Bayern (s.o.), dem 10.1.2021 wies das Robert-Koch-Institut (Seite 4) bei fallender Gesamttendenz für Bayern eine Inzidenz von 156 aus.

Neun Monate später, dem Tag der Entscheidungsverkündung im Hautsachenverfahren aus Bayern, weist das bayerische LGL am 6.10.2021 für (Ungeimpfte, also den selben Personenkreis, wie am 10.1.2021) Bayern eine Inzidenz von 200 aus, ohne daß irgend jemand eingesperrt wird (Auf die Tatsache, daß die Staatsregierung festgelegt hat, daß Geimpfte sich in Restaurants, Friseur, Schule, Universität, Grenzübertritt etc. nicht impfen lassen brauchen, Ungeimfte hingegen schon, was zur Folge hat, daß geimpfte Symptomlose nicht erkannt werden, ungeimpfte Symptomlose hingegen schon, sei hier nicht weiter eingegangen).

Zu urteilen hatte der Senat hingen über eine Ausgangssperre von Ende März 2020, als die Inzidenz deutschlandweit lediglich bei 66,1 lag.

Die Frage ist also: Wie soll das Gericht, angesichts einer Inzidenz von 200 unter „Ungeimpften“, für die keine Ausgangssperre besteht, über eine Ausgangssperre für „Ungeimpfte“ bei einer Inzidenz von 66 urteilen?

 

Die Kehrtwende der obersten bayerischen Verwaltungsrichter

So war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof praktisch gezwungen seine Rechtsprechung aus dem Januar des selben Jahres aufzugeben und urteilte nun:

Es wird festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war”. (Aktenzeichen: 20 N 20.767)

Der Urteilstext aus 20 N 20.767 wurde erst einige Tage später veröffentlicht. Demnach ist auch den Verwaltungsrichtern in Bayern aufgefallen, daß wenn jemand alleine vor der Haustüre steht, er sich auch in Pandemiezeiten nicht anstecken kann. Und so fiel auch den Richtern in Bayern auf, daß nächtliche Ausgangsbeschränkungen schon gar nicht erforderlich sind, da ja andere,  geeignetere Mittel zur Pandemiebekämpfung zur Verfügung stehen, wie z.B. eine weitere Beschränkung der zulässigen Kontaktpersonen. Außerdem fällt ihnen nun, im Oktober 2021 bei einer Inzidenz von 200 auf, bei der alle Bürger auch nachts frei herumlaufen, daß die Ausgangssperre damals nicht angemessen war, also verhältnismäßig im engeren Sinne war, da der Effekt, der von ihr ausgeht, in keinem Verhältnis zu den damit verbundenen Beschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger stand!

Mit anderen Worten: Die Realität hat die Unterwerfung der obersten Verwaltungsrichter unter das Diktat der Staatsregierung eingeholt!

Das Urteil ist bisher noch nicht veröffentlicht. Die Berichterstattung hierüber ist daher auf Medieninformationen angewiesen, denen das Urteil vorliegt. Da dies eigentlich nur die Landesanwaltschaft, bzw. der Kläger sein kann, dürfte der Kläger das Urteil wohl der Zeitung DIE WELT zugesandt haben, da diese aus dem Urteil zitiert:

.

Söder hat Grundsatz einer freiheitlichen Demokratie ignoriert

In ihrem neu gewonnenen Eifer stellen die obersten bayerischen Verwaltungsrichter den Ministerpräsidenten als jemanden hin, der gegen die Grundsätze der demokratischen Ordnung verstößt:

Diese Regelung aus der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung habe gegen „das Übermaßverbot aus höherrangigem Recht“ verstoßen und sei deshalb „unwirksam“ gewesen, heißt es in den Entscheidungsgründen, die WELT vorliegen.

Mit anderen Worten: Ministerpräsident Söder hat übertrieben! Das was Ministerpräsident Söder blumig mit „Team Vorsicht“ beschrieben hat,  war tatsächlich nichts Anderes, als ein rechtswidriger Eingriff in die Grundrechte der Bürger, also letztendlich eine Art „Freiheitsberaubung“

Im diametralen Gegensatz zur eigenen Rechtsprechung aus dem Januar 2021, erkennt das Gericht nun auf einmal:

Die Ausgangsbeschränkung sei „keine notwendige Maßnahme“ im Sinne des Infektionsschutzgesetzes gewesen, auf dessen Generalklausel in Paragraf 28 sie sich stützte. So habe der Verordnungsgeber „die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigen, so eng gefasst, dass die Norm im Ergebnis gegen das Übermaßverbot verstößt“. Dem Verordnungsgeber stehe zwar grundsätzlich ein Rechtsetzungsermessen zu, das aber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliege – und damit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.

Und im Gegensatz zu Januar 2021 zeigen die Richter des obersten Verwaltungsgerichts, daß sie auf einmal wieder Jura können, denn

Die Richter stellen dabei bereits die Eignung der Generalklausel als Rechtsgrundlage der Verordnung infrage. „Es bestehen bereits Zweifel, ob der historische Gesetzgeber des Bundesseuchengesetzes und daran im Anschluss des Infektionsschutzgesetzes tatsächlich die Generalklausel des Paragrafen 28 auch im Hinblick auf sogenannte Lockdowns oder Shutdowns entwickelt hat, in dem Sinne, dass den Landesregierungen oder den subdelegierten Stellen der Erlass solch umfassender, das gesamte öffentliche Leben eines Landes tiefgreifend umgestaltender Einschränkungen erlaubt werden sollte“, schreiben die Richter. Es sei eher darum gegangen, Badeverbote an bestimmten Gewässern oder Waldbetretungsverbote zur Verhütung der Tollwut zu ermöglichen.

Im diametralen Gegensatz zum Januar wenden die Richter nun auf einmal den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie ihn Jura-Studenten im zweiten und dritten Semester lernen, auf einmal wirklich auf den Sachverhakt an, daß eine Person abends vor der Türe verboten bekommt Frischluft zu schnappen und kommen nun zum wenig überraschenden Ergebnis:

Weiter habe die Staatsregierung es versäumt, „bei der Auswahl der Maßnahmen von mehreren gleich geeigneten Mitteln das die Grundrechte der Normadressaten weniger belastende zu wählen“. So seien statt einer Ausgangsbeschränkung mildere Mittel wie Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum in Betracht gekommen, wie sie in anderen Bundesländern auch praktiziert wurden.