Sitzungswoche
27. Januar 2021 (69. Sitzung)
Quelle Bayerischer Landtag: Die Tagesordnung entspricht auch dann der im Maximilianeum, wenn die Reihenfolge der Tagesordnungen „durcheinander“ gehen.
TOP 1: Befragung der Staatsregierung in der Coronakrise
Zu Beginn der Sitzung: das neue Format der Befragung der Staatsregierung
Fragen aus der AfD an die Staatsregierung
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TOP 2: Regierungserklärung des Gesundheitsministers
Der Befragung ging eine Regierungserklärung des neuen Gesundheitsministers voraus:
Abgelehnter Antrag der AfD zu diesem Tagesordnungspunkt
Bayerisches Gastgewerbe, Sportdienstleister, Kunst und Kultur, persönliche Dienstleister entlasten – Verbot der Erwerbstätigkeit ab einer Inzidenz von unter 100 umgehend aufheben
Der Landtag wolle beschließen:
Die Staatsregierung wird aufgefordert,
- das Verbot der Erwerbstätigkeit für die Branchen des Gastgewerbes (Gastronomie und Beherbergung), der Sportdienstleistungen, der Kunst und Kultur (Wirtschaftszweig (WZ) „Abschnitt R“ laut Klassifikation des Statistischen Bundesamtes), und der persönlichen Dienstleistungen (WZ „Abschnitt S 96“) im jeweiligen Kreis ab einer Inzidenz von unter 100 umgehend aufzuheben[1],
- sich auf Bundesebene für die umgehende Aufhebung des Verbots der Erwerbstätigkeit für die Branchen des Gastgewerbes (Gastronomie und Beherbergung), der Sportdienstleistungen, der Kunst und Kultur (WZ „Abschnitt R“ laut Klassifikation des Statistischen Bundesamtes) und der persönlichen Dienstleistungen (WZ „Abschnitt S 96“) im jeweiligen Kreis ab einer Inzidenz von unter 100 einzusetzen.
Begründung:
Die Branchen des Gastgewerbes (Gastronomie und Beherbergung), der Sportdienstleistungen, der Kunst und Kultur (WZ „Abschnitt R“ laut Klassifikation des Statistischen Bundesamtes), und der persönlichen Dienstleistungen (WZ „Abschnitt S 96“) sind ein wichtiger Teil der bayerischen Wirtschaft. So erwirtschafteten im Jahr 2018 die fast 40 Tsd. Gastgewerbe-Unternehmen in Bayern einen Umsatz von insgesamt 20,3 Mrd. Euro und beschäftigten über 500 Tsd. Erwerbstätige[2]. Die fast 48 Tsd. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft mit 388 Tsd. Erwerbstätigen erarbeiteten einen Umsatz von 37,5 Mrd. Euro[3].
Leider sind genau diese Branchen am härtesten vom Lockdown betroffen. Im bayerischen Gastgewerbe nahm der preisbereinigte Umsatz im Dreiviertjahr 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 33,5 Prozent ab. Die Zahl der Beschäftigten verringerte sich um 14,7 Prozent[4]. Von Januar bis Oktober 2020 verringerte sich der reale Umsatz der
bayerischen Hotellerie gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 33,8 Prozent, die Zahl der Beschäftigten um 14,9 Prozent[1]. Zusätzlich dazu war im Oktober 2020 das Gastgewerbe deutschlandweit Spitzenreiter im Bereich Kurzarbeit mit 26 Prozent der Beschäftigten oder 290 000 Menschen[2]. Im Juni 2020 meldeten 21 Prozent der Unternehmen aus dem Bereich Sport und Unterhaltung einen Beschäftigungsabbau, 79 Prozent meldeten die Einführung von Kurzarbeit. 53 Prozent der Umfrageteilnehmer bezeichneten die Beeinträchtigungen durch die Coronakrise als existenzbedrohend. Auch nach den Lockerungen und Wiedereröffnungen werden sich die hohen Umsatzverluste bei Weitem nicht kompensieren lassen, da kaum Nachholeffekte für den Besuch von Beherbergungen und Sportanlagen zu erwarten sind[3].
Bis zu zwei Drittel des realen BIP-Rückgangs in Bayern könnten durch den Lockdown verursacht sein, nur ein Drittel dürfte auf einen Rückgang der Auslandsnachfrage nach bayerischen Exporten zurückzuführen sein[4].
Der erste Lockdown vom 22. März bis 6. Mai 2020 kostete die deutsche Wirtschaft rund 300 bis 500 Mrd. Euro[5]. Der zweite Lockdown von November bis Dezember 2020 kostete die Wirtschaft weitere rd. 50 bis 70 Mrd. Euro.[6],[7] Jede weitere Woche des Lockdowns kostet die Wirtschaft jedes Mal weitere 3 bis 3,5 Mrd. Euro[8], bei weiteren Verschärfungen kann es zu Wohlfahrtsverlusten von 10 Mrd. Euro pro Woche kommen[9].
Obwohl die Unternehmen in Gastronomie, Beherbergung, Sportdienstleistungen, Kunst und Kultur, sowie persönliche Dienstleister (z. B. Friseure) kostspielige, komplizierte und geschäftsschädigende Hygienemaßnahmen implementierten und nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 19.01.2021 nachweislich kaum zur Verbreitung des COVID-19-Erregers beitragen[10], wurde ihnen trotzdem bereits zweimal im Jahr 2020 die Erwerbstätigkeit im Rahmen des ersten und zweiten Lockdowns fast komplett untersagt.
Diese Zwangsschließungen verschieben einen Großteil der täglichen Aktivitäten der Bürger weg von diesen Bereichen, wo die Verbreitung des COVID-19-Erregers nachweislich gut eingedämmt und nachverfolgt werden kann, in die privaten Haushalte, welche nach Schätzungen des RKI am meisten zur Verbreitung des Erregers beitragen.
Nach Angaben des RKI vom 25.01.2021 ist die Zahl der übermittelten COVID-19-Fälle (in den Medien fälschlicherweise als „Neuinfektionen“ dargestellt) seit ca. Mitte Dezember 2020 rückläufig und seit ca. Mitte Januar 2021 drastisch rückläufig[11].
Da die Zahl der neuen COVID-19-Fälle stark rückläufig ist und der Lockdown (der Verbot der Erwerbstätigkeit) für die o. g. Branchen im gesundheitspolitischen Sinne nicht verhältnismäßig ist , sowie einen immensen sozio-ökonomischen Schaden anrichtet – darunter langfristige negative wirtschaftliche Auswirkungen, wie z. B. Anstieg der Konzentrationsprozesse, Schwächung des Produktionspotenzials, verzerrte sektorale Strukturtransformation[12] – muss das Verbot der Erwerbstätigkeit für diese Branchen umgehend aufgehoben werden.
Die AfD-Fraktion unterstützt auch die Position des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Staatsministers für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der am 25.01.2021 argumentiert hat:
„Der reine Blick auf die Inzidenz wird mit zunehmender Dauer des Lockdowns also der Gesamtsituation immer weniger gerecht. Die Kollateralschäden werden zu groß. […] Verantwortbar sehe ich auch, Hotels wieder zu öffnen. […] Genauso der Handel. Wenn man Textilien als Nebensortiment im Lebensmittelladen kaufen kann, warum dann nicht im Textilladen nebenan? Dann verteilen sich die Kunden auf mehr Quadratmeter und wir müssen nicht mit Steuergeld entschädigen, […]. Auch Skilifte sind mit guten Konzepten wie Onlinebuchung, Abstand am Lift und FFP2-Maske kein Teufelszeug. […] Nach einem Vierteljahr Lockdown wird es Zeit, dass wir den Menschen und der Wirtschaft auch langsam mal wieder positive Perspektiven anbieten“.
Des Weiteren unterstützt die AfD-Fraktion auch die Positionen von Vize-Generalsekretär der Freien Wähler Felix Locke, der sagte „Corona-Diskussionen dürfen nicht mit prophetischer Weltuntergangsstimmung à la Söder geführt werden“ und eine „sachliche Debatte über Öffnungen“ fordert; sowie von Generalsekretärin der Freien Wähler Susann Enders, welche zur Kritik seitens der CSU kontrahierte: „Dem Koalitionspartner den Mund verbieten? Geht gar nicht“[13].
[1] Bayerisches Landesamt für Statistik (2020). Zahlenspiegel zur Corona-Pandemie.
[2] ifo Institut (2020). Rückgang der Kurzarbeit verlangsamt sich. URL: https://www.ifo.de/node/59082
[3] ifo Institut (2020). ifo Branchenatlas: Sport- und Freizeiteinrichtungen. URL:
https://www.ifo.de/branchenatlas/sport-freizeiteinrichtungen
[4] Sforza A. und M. Steininger (2020). Globalization in Times of Covid-19. CESifo.
[5] ifo Institut (2020). Die volkswirtschaftlichen Kosten des Corona-Shutdown für Deutschland: Eine Szenarienrechnung.
[6] Bardt H. (2020). Lockdown light darf nicht auf Industrie übergreifen. IW Köln.
[7] Grömling M. (2020). Lockdown 2.0 kostet 2020 zwei und 2021 einen Prozentpunkt. IW Köln.
[8] Hüther M. (2020). Unternehmen in Existenznot. IW Köln.
[9] Bardt H. (2021). Harter Lockdown könnte zehn Milliarden Euro pro Woche kosten. IW Köln.
[10] Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (19.01.2020). URL:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-19-de.pdf?__blob=publicationFile
[11] Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (25.01.2021). URL:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-25-de.pdf?__blob=publicationFile
[12] Passauer Neue Presse (2021). Kollateralschäden zu groß: Aiwanger will gelockerten Lockdown. URL:
https://www.pnp.de/nachrichten/politik/Kollateralschaeden-zu-gross-Aiwanger-will-gelockerten-Lockdown-3896904.html
[13] Bayerischer Rundfunk (2021). Corona-Debatte: Ton in der bayerischen Koalition wird rauer. URL:
https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-debatte-ton-in-der-bayerischen-koalition-wird-rauer,SN5vLuF
[1] 7-Tages-Inzidenz der übermittelten COVID-19-Fälle pro 100 000 Einwohner.
[2] Bayerisches Landesamt für Statistik. (2019, letzte Erhebung). URL: https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g4400c_201800.pdf
[3] StMWi (2020). Zweiter Bayerischer Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht. URL: https://www.stmwi.bayern.de/fileadmin/user_upload/stmwi/Publikationen/2020/2020-04-07_bk_bericht_2020_200323_KSCH_E-Paper_2_.pdf
[4] Bayerisches Landesamt für Statistik. (2020). URL:
https://www.statistik.bayern.de/presse/mitteilungen/2020/pm296/index.html
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