Wie auf Knopfdruck führen Großbritannien und die EU Gesichtserkennungstechnologie für die Massenüberwachung ein

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BRÜSSEL/LONDON – praktisch gleichzeitig beginnen Großbritannien und die EU mit der biometrischen Massenüberwachung ihrer Bürger, die in Großbritannien auch eine Live-Überwachung aller Bürger umfasst und in der EU aktuell „nur“ bei Straftätern zum Einsatz kommen soll.

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In der EU und im Vereinigten Königreich hat die Regierung ihre Pläne für eine umfassende Ausweitung des Einsatzes von Massenüberwachungen vorgestellt , die die Polizei auf vielfältige Weise und an verschiedenen Standorten einsetzen will.

Die Regierung verstärkt außerdem den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie, um Täter zu fassen und Ladendiebstahl von vornherein zu verhindern. Dank einer Investition von 55,5 Millionen Pfund in den nächsten vier Jahren wird die Polizei in der Lage sein, diese neue, hochmoderne Technologie weiter voranzutreiben. Darin sind 4 Millionen Pfund für maßgeschneiderte mobile Einheiten enthalten, die in Hauptstraßen im ganzen Land mit Live-Gesichtserkennung eingesetzt werden können und in belebten Gebieten eingesetzt werden, um von der Polizei gesuchte Personen zu identifizieren – darunter auch wiederholte Ladendiebe.

Die AfD wendet sich grundsätzlich gegen den Einsatz von Digitalisierung zur Überwachung und/oder Bevormundung des Bürgers. Dem Programm kann man entnehmen:

In der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sehen wir eine Chance für die Verbesserung des Lebens aller Bürger. Als freiheitliche und demokratische Partei wendet sich die AfD jedoch gegen jeglichen Missbrauch digitaler Techniken, die zur Überwachung oder Bevormundung von Bürgern und Unternehmen führen. Verzicht auf Anwendung von Digitalisierung, die  totalitäre Strukturen befördert… Die Digitalisierung muß stets unter den Prämissen der Sinnhaftigkeit und der Arbeitserleichterung betrachtet werden.

Lediglich für den Schutz nach außen durch die Bundespolizei, also begrenzt zur Erfüllung von deren Aufgaben, kommt für die AfD ein Einsatz von Gesichtserkennung in Betracht:

Zudem fordern wir für die Bundespolizei den Einsatz modernster Fahndungstechnik wie den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware. Fahndungserfolge bei Grenzkontrollen anlässlich internationaler Gipfeltreffen belegen das Erfordernis eines effizienten Grenzschutzes.

Das Konzept:

„Einer gesucht, alle überwacht!“

ist also mit der AfD nicht möglich! Im Gegensatz hierzu eröffnet die EU nun die Möglichkeit mit dem AI-Act biometrische Massenüberwachung mit Hilfe von Gesichtserkennungssoftware  und mit der Begründung „Personenfahndung“ immer und überall flächendeckend und verdachtslos durchführen. Die im ‚AI Act‘ genannten Delikte, bei denen dies möglich ist  betrifft 6.000 durch die Justiz per Europäischem Haftbefehl gesuchte Personen. Wegen dieser, dürfe gemäß EU, massenhaft überwacht werden. Tatsächlich dürfte der AI Act der EU mit Hilfe von biometrischer Echtzeitüberwachung des öffentlichen Raums eine Kultur des Misstrauens normalisieren, der gemäß jeder grundsätzlich als verdächtig gilt. Dies ebnet den Weg in eine dystopische Zukunft eines misstrauischen High-Tech-Überwachungsstaats nach chinesischem Vorbild.

Der Europäische Datenschutzausschuss und der Europäische Datenschutzbeauftragte haben ein “generelles Verbot des Einsatzes von KI zur automatischen Erkennung menschlicher Merkmale in öffentlich zugänglichen Räumen” gefordert, da dies “direkte negative Auswirkungen auf die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Freizügigkeit” habe.

Die EU hat diesen Weg dennoch geebnet und das Nicht-EU-Mitglied Großbritannien hat diesen Weg eines misstrauischen High-Tech-Überwachungsstaats nach chinesischem Vorbild nun als erstes Land Europas ganz offiziell eingeschlagen:

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Die EU ermöglicht Massenüberwachung für angebliche Straftäter

Die Vorgaben, wie in der EU mit Gesichtserkennung umzugehen ist, war ein zähes Ringen auf EU-Ebene. Ursprünglich wurde vom EU-Parlament im Jahr 2023 ein Verbot biometrischer Massenüberwachung gefordert. Doch es kam – aus welchen Gründen auch immer – anders.  Das Ergebnis war ein Kompromiss, der Kritikern zufolge nichts Anderes war, als das Thema mit Hintertüren für die biometrische Überwachung zu versehen.  Die Möglichkeit einer biometrischen Massenüberwachung wurde nach zähen Auseinandersetzungen sozusagen in die Fußnoten verschoben und es wurden einige Voraussetzungen definiert. Letztenendes wurde die biometrische Massenüberwachung also für „Straftaten“ möglich. Die Presse berichtet über diese „Ausnahmen“ nun wie folgt:

„Die Verhandlungsführer einigten sich auf eine Reihe von Schutzmaßnahmen und engen Ausnahmen für den Einsatz biometrischer Identifikationssysteme“ in öffentlich zugänglichen Räumen zu Strafverfolgungszwecken, teilte das Parlament bereits am 9. Dezember 2023 mit. Voraussetzung seien „eine vorherige richterliche Genehmigung“ und eine „streng definierte Straftatenlisten“. Eine nachträgliche automatisierte Suche nach Tätern mithilfe von Gesichtserkennung, wie sie etwa die Hamburger Polizei nach dem G20-Gipfel durchführte, werde „ausschließlich für die gezielte Suche nach einer Person eingesetzt, die wegen einer schweren Straftat verurteilt oder verdächtigt wird“.

Im Entwurf der damaligen spanischen Ratspräsidentschaft vom 22. Dezember für den Artikel 29 Absatz 6a, den Netzpolitik.org veröffentlicht hat, liest sich das anders. Der Betreiber eines KI-Systems im Bereich der Strafverfolgung soll demnach „zur nachträglichen biometrischen Fernidentifizierung eine Genehmigung vorab, unverzüglich und spätestens 48 Stunden, durch eine Justizbehörde oder eine Verwaltungsbehörde beantragen“. Der von den Abgeordneten vermeintlich durchgesetzte verbindliche Richtervorbehalt wäre also nur noch eine Option. Stattdessen könnten etwa auch eine Staatsanwaltschaft oder ein Ministerium eine Suche per Gesichtserkennung in Videoaufnahmen anordnen.

Innerhalb der EU gibt bei diesem Thema offenbar die Hauptstadt Spaniens mächtig Gas:

Madrid weitet die Videoüberwachung massiv aus

Seit der neue Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida Navasqüés 2019 in das Amt kam, wurde die Videoüberwachung massiv ausgeweitet. Es

„…wurden 111 Kameras installiert, die über verschiedene Teile der Hauptstadt verteilt sind. Nach kommunalen Angaben handelt es sich um ein Drittel aller, mit denen die Stadtpolizei operiert (330). Die Videoüberwachung erreichte die Stadtteile Bellas Vistas (Tetuán), San Diego (Puente de Vallecas), das Industriegebiet Marconi (Villaverde), Lavapiés, Chueca oder die Calle Montera. Gerade im Stadtteil Centre wurden die Straßensysteme Ballesta oder Lavapiés erneuert. 2,7 Millionen Euro wurden bisher ausgegeben….

Im Detail bedeutet dies:

Der Stadtrat hat gerade die Vorstudien abgeschlossen und arbeitet bereits an der Vertragsabwicklung, die etwa im März nächsten Jahres ausgeführt werden soll. Insgesamt werden 18 Kameras zum Einsatz kommen, die zudem mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattet sein werden. Einige davon sind der Erkennung von Kfz-Kennzeichen gewidmet. Eine große Anzahl von Geräten, die die gefährliche Situation rund um diese schwierige Straße im Bezirk Latina veranschaulichen.

Sie werden nicht die einzigen Enklaven sein, die der Bereich Sicherheit und Notfälle unter der Leitung der Vizebürgermeisterin Inma Sanz mit modernster Technologie zu schützen versuchen wird. Im Calero Park im Stadtteil Ciudad Lineal werden weitere fünf Kameras installiert. Dies ist ein weiteres Szenario, das wegen Schlägereien und Episoden der Unsicherheit untersucht wird. Genauso wie der riesige Pradolongo-Park (60 Hektar) in Usera, der seit Jahren als der gefährlichste der Stadt gilt und in dem die genaue Anzahl der Kameras, die installiert werden sollen, noch festgelegt werden muss. Drei Punkte zur Verstärkung der Videokontrolle, die logischerweise die Arbeit der Stadtpolizei und der übrigen Kräfte und Einrichtungen erleichtern werden.

Noch einen Schritt weiter geht aktuell die Regierung Großbritanniens:
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Großbritannien ermöglicht Massenüberwachung für alle

Großbritannien sieht sich in den Einzelhandelszentren einer zunehmenden Gewaltanwendung gegen Beschäftigte im Einzelhandel ausgesetzt. Dort seien die Angestellten zunehmens bedrohlichem Verhalten, körperlichen Übergriffen und Drohungen mit Waffen ausgesetzt, die häufig mit organisierter Kriminalität in Verbindung stehen. Opfer sind hierbei gewöhnliche, hart arbeitende Menschen, Teenager, die ihren ersten Job annehmen, Betreuer, die eine Teilzeitbeschäftigung suchen, Eltern, die sich um die Kinderbetreuung kümmern, etc. Um dies einzudämmen, setzt die britische Regierung an diesen Orten nun digitale Massenüberwachungen ein.

Der Premierminister hat daher neue und strenge Maßnahmen zur Bekämpfung der Einzelhandelskriminalität und zum Schutz britischer Hauptstraßen vorlegt. Mit anderen Worten: er nutzt dieses selbst geschaffene Phänomen nun, um eine Lösung „anzubieten“. Ein „Angriff“ auf einen Angestellten in meinem Einzelhandelsgeschäft wird in Zukunft als ein eigenständiger Straftatbestand behandelt werden können. Dies soll schon im Vorfeld ein klares Signal aussenden, daß derartige Angriffe harte Konsequenzen nach sich zieht. Ertappten Tätern drohen dann bis zu sechs Monate Haft, eine Geldstrafe und ein Betretungsverbot in das Geschäft, in dem sie ihre Straftaten begangen haben. Zusätzlich kann noch eine Art Hausverbot erteilt werden. Ein Verstoß gegen eine solche Anordnung stellt wiederum eine separate Straftat dar und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren geahndet. Bei Körperverletzung, etwa der vorsätzlichen schweren Körperverletzung, drohen den Tätern sogar lebenslange Haftstrafen. Doch auch für das Auffinden der Täter hat sich die Regierung Großbritanniens etwas einfallen lassen:

Gesuchte sollen mit Hilfe einer „Live-Gesichtserkennung“ identifiziert werden

Doch die neuen Überwachungsmöglichkeiten sollen in Großbritannien nun präventiv eingesetzt werden, um mit Hilfe einer Live-Gesichtserkennung Personen zu identifizieren, die bereits polizeibekannt sind:

Angeblich soll auf diesem Weg mit Hilfe von „Abschreckung“ die Anzahl an Ladendiebstählen durch Mehrfachtäter reduziert werden.

Täter sollen immer(!) mit Hilfe eines Datenbankabgleichs identifiziert werden

Ein in der nationalen polizeilichen Geheimdiensteinheit angesiedeltes Spezialpolizeiteam führt dann in einem zweiten Schritt bei den identifizierten Verdächtigen einen Datenbankabgleich durch:

Ein im vergangenen Jahr gegründetes neues Spezialpolizeiteam sammelt Informationen über organisierte Einzelhandelskriminalitätsbanden, finanziert durch „Pegasus“, eine einzigartige Geschäfts- und Polizeipartnerschaft, die von 14 der größten britischen Einzelhändler, National Business Crime Solutions und dem unterstützt wird Home Office wurde ins Leben gerufen, um die Art und Weise, wie Einzelhändler Informationen mit der Polizei teilen können, um mehr Straftäter zu identifizieren, grundlegend zu verbessern. Die Einheit ist Teil von Opal, der nationalen polizeilichen Geheimdiensteinheit für schwere organisierte Erwerbskriminalität.   

Wenn CCTV- oder andere digitale Bilder gesichert werden, verpflichtet sich die Polizei, dies standardmäßig über die nationale Datenbank der Polizei laufen zu lassen, um die Bemühungen zur Identifizierung produktiver Straftäter oder potenziell gefährlicher Personen zu unterstützen. Dies baut auf der Zusage der Polizeikräfte in ganz England und Wales auf, alle Ermittlungslinien weiterzuverfolgen, bei denen eine begründete Chance besteht, dass sie einen Täter fassen und ein Verbrechen aufklären könnten.

Serientäter sollen „markiert“ und dauerüberwacht werden

Die Regierung Großbritanniens will nun die neuen Überwachungsmöglichkeiten repressiv einsetzen. Serientäter sollen durch die Regierung Großbritanniens „markiert“ um sie auf diesem Weg dauerzuüberwachen. Von welcher Art diese „Markierung“ sein soll, wird aber aktuell noch verschwiegen.

Die Regierung verstärkt außerdem ihre Maßnahmen, um gegen Straftäter vorzugehen, die immer wieder die Hauptstraßen des Landes angreifen. Serientäter werden gezwungen, Markierungen zu tragen, um ihre Bewegungen zu verfolgen. 

Diese Etiketten werden Straftäter ständig und physisch daran erinnern, dass die Bewährungshilfe herausfinden kann, wo und wann sie sich aufgehalten haben, und dass sie Gefahr laufen, ins Gefängnis geschickt zu werden, wenn sie sich weigern, sich an die Regeln zu halten. Gemäß einer Änderung des Strafjustizgesetzes sollte ein Täter, der dreimal des Angriffs auf Mitarbeiter für schuldig befunden oder dreimal wegen Ladendiebstahls verurteilt wurde, verpflichtet werden, im Rahmen einer Gemeinschaftsordnung ein Schild zu tragen.

Eine derartige Politik der „Markierung“ von Serientäter läßt den Verdacht aufkommen, daß genau das der Grund gewesen sein könnte, warum gegen Serientäter bisher nicht effizient vorgegangen wurden. Wäre man bisher effizient gegen Serientäter vorgegangen, hätte man jetzt jedenfalls keinen Grund ein Überwachungssystem durch eine „Markierung“ einzuführen, mit dem die  „Bewährungshilfe herausfinden kann, wo und wann sie sich aufgehalten haben„!

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Kritik

Laut Big Brother Watch werden die Steuerzahler in diesem Land die Rechnung in Höhe von insgesamt 230 Millionen Pfund (rund 288 Millionen US-Dollar) tragen. Als Gegenleistung für die Finanzierung dieser Ausweitung dessen, was die Menschenrechtsgruppe Orwellsche Technologie nennt, werden die Bürger einer noch intensiveren Massenüberwachung ausgesetzt sein.

Wenn jedoch „Ladendiebstahl“ ein Hauptgrund dafür ist, sehen die Pläne so aus, als würden sie eine Fliege mit einer Elefantenpistole töten. Es wird einen Konvoi von Transportern mit Live-Gesichtserkennung – „mobilen Einheiten“ – in überfüllten Bereichen von Hauptstraßen und anderswo in Städten geben.

Dies funktioniert, indem jeder in einer Menschenmenge in Echtzeit überwacht wird, sodass die Polizei Bilder der Gesuchten vergleichen kann, in der Hoffnung, sie unter der Menschenmasse zu finden.

„Es ist völlig absurd, die breite Öffentlichkeit unter der Prämisse der Diebstahlbekämpfung massenhaft zu überwachen“,

kommentierte Big Brother Watch-Direktorin Silkie Carlo und fügte hinzu, dass es der Polizei gleichzeitig nicht gelingt,

„…auch nur 40 % der Gewalttätigen zu ermitteln Ladendiebstahlvorfälle zu untersuchen oder viele weitere schwere Straftaten ordnungsgemäß aufzuklären.“

Carlo betonte auch, dass diese Pläne weder dem Parlament noch den Bürgern zur Abstimmung standen, und bezeichnete das Vorhaben als

„eine katastrophale Verschwendung öffentlicher Gelder für eine gefährlich autoritäre und ungenaue Technologie“.

Abgesehen von dem Konvoi von Transportern, die mit Live-Gesichtserkennung ausgestattet sind, hofft die Regierung, die gleiche Technologie auch bei fest installierten Kameras an Bahnhöfen und einer App für Polizeibeamte einzusetzen, mit der sie bei jedem, den sie auf der Straße anhalten möchten, eine Gesichtserkennung durchführen können.