MÜNSTER – Die höchste Verwaltungsgerichtsinstanz in Münster hat die Vorschriften der Coronaschutzverordnung zur Beschränkung des Einzelhandels vorläufig außer Vollzug gesetzt, weil sie mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar sind.
Das Oberverwaltungsgericht hat unter dem Aktenzeichen: 13 B 252/21.NE mit – dem am Montag, den 22.3. bekannt gegebenem – Beschluss vom 19. März 2021 auf den Eilantrag eines Media-Marktes eine zentrale Regelung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens außer Kraft gesetzt, mit der diese annimmt, das Covis-19-Virus zurückdrängen zu können, indem sie z.B. die Anzahl der Kunden im Einzelhandel reglementiert. Das bedeutet grundsätzlich, dass in Nordrhein-Westfalen ab sofort im gesamten Einzelhandel keine Kundenbegrenzung pro Quadratmeter mehr gilt und das Erfordernis der Terminbuchung entfällt.
Da also diese Regelung rechtswidrig war, war sie ab dem Zeitpunkt als das erkannt wurde, als ob Vertrag, den 19.3.2021 als Rechtsgrundlage entfallen.
Walch ein „Zufall“: Das Gericht veröffentlichte diese Information aber erst am Montag, den 22.3., als die Landesregierung in der Lage war, eine überarbeitete, neue Regelung vorzulegen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat nämlich tatsächlich die vom Oberverwaltungsgericht Münster aufgehobenen Corona-Beschränkungen im Einzelhandel mit einer Überarbeitung der Corona-Verordnung um die späte Mittagszeit des 22.3.2021 wieder in Kraft gesetzt. Die Händler hatten daher nichts von ihrem Recht. Ob mit derartigen – zum Nachteil der Händler und Bürger – verzögert veröffentlichten Urteilen das Vertrauen in den Rechtsstaat aufrechterhalten werden kann, wirkt allerdings mehr als fragwürdig.
Die vom Oberverwaltungsgericht im Urteil ausdrücklich als insgesamt verhältnismäßig eingestuften Beschränkungen für den Einzelhandel bleiben aber bestehen. Dies gilt auch für die Beschränkungen in den Geschäften, die erst seit dem 8. März mit Terminvereinbarung („Click and Meet“) und einer Personenbegrenzung von einer Kundin/einem Kunden je 40 qm Verkaufsfläche öffnen dürfen.
Dieses formal wünschenswerte Urteil ist jedoch materiell eine Niederlage für die Betroffenen, denn auf Antrag von Media-Markt wurde eine Verordnung gekippt, mit der die Kleinen, also Schreibwarengeschäfte und Buchhandlungen, aber auch Gartenmärkte ab jetzt auch nur noch einen Kunden pro 40qm-einlassen dürfen.
Gericht kippt die Unterteilung des Zutritts in Geschäfte nach Verkaufsflächengrößen
Auf der Grundlage der aktuellen nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung könnten seit dem 8. März 2021 wieder alle Einzelhändler öffnen. Doch praktisch hat dem die Landesregierung einen Riegel vorgeschoben, weil sie wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Urteils am Montag, den 22.3.2021 bereits eine überarbeitete Verordnung in Kraft setzte.
Die gekippte Verordnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens sah vor: Wer zuvor bereits öffnen durfte, z.B. Lebensmittelhandel, für den ändert sich nichts. Es bleibt die Kundenbegrenzung auf eine Person pro 10 qm Verkaufsfläche bzw. pro 20 qm im Fall, daß eine 800 qm übersteigende Gesamtverkaufsfläche vorliegt. Im gesamten restlichen Einzelhandel ist der Zutritt grundsätzlich nur für einen Kunden pro 40 qm Verkaufsfläche und auch nur nach vorheriger Terminvergabe zulässig. Ausgenommen sind hiervon allerdings die zuvor ebenfalls geschlossenen
- Buchhandlungen
- Schreibwarengeschäfte
- Blumengeschäfte
- Gartenmärkte, die bislang nur verderbliche Schnitt- und Topfblumen sowie Gemüsepflanzen und Saatgut verkaufen durften.
Für Letztere gelten ebenfalls die günstigeren Öffnungsmodalitäten. Diese Regelungen hat das Oberverwaltungsgericht nun insgesamt vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Begründung: Gleiches muß gleich behandelt werden
Zur Begründung hat der 13. Senat ausgeführt: Die Beschränkungen verstießen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
- Bei der Pandemiebekämpfung bestehe zwar ein Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers, der sich in einer komplexen Entscheidungssituation befinde und nur mit Prognosen zu den Auswirkungen von Beschränkungen und Lockerungen arbeiten könne.
- Es sei auch zulässig, schrittweise zu lockern, wobei es zwangsläufig zu Ungleichbehandlungen verschiedener Bereiche komme.
Der Verordnungsgeber habe es deshalb grundsätzlich für Geschäfte wie den Lebensmitteleinzelhandel bei den bisherigen Regelungen belassen dürfen, während für andere Betriebe vorläufig nur eine reduzierte Kundenzahl zugelassen werde und eine vorherige Terminbuchung erforderlich sei.
Auch das Konzept einer stufenweisen Öffnung segnet das Gericht ab: Die schrittweise und kontrollierte Öffnung weiterer Bereiche des Handels müsse aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zwingend mit einer Verschärfung der Öffnungsbedingungen für die bereits bislang von der Schließung ausgenommenen Geschäfte einhergehen.
Wichtig ist aber, daß die Regierungen einen rechtfertigenden Grund für ihre Maßnahmen vorweisen können: Der Verordnungsgeber überschreite aber seinen Spielraum, wo ein einleuchtender Grund für eine weitere Differenzierung fehle.
Dies sei der Fall, soweit nunmehr auch Buchhandlungen, Schreibwarenläden und Gartenmärkte mit ihrem gesamten Sortiment unter vereinfachten Bedingungen (größere Kundenzahl, ohne Terminbuchung) betrieben werden dürften.
Grundsätzlich geht das Gericht davon aus, daß bei gleichen Bedürfnissen durch die Regierung die gleichen Regeln anzuwenden sind: Es erschließe sich nicht und werde durch den Verordnungsgeber auch nicht begründet, warum dessen Annahme, diese Betriebe deckten ebenfalls eine Art Grundbedarf, für sich genommen andere Öffnungsmodalitäten rechtfertigen sollte als beim übrigen Einzelhandel. Da nach der nunmehr geltenden Rechtslage sämtliche Geschäfte öffnen dürften, könne das Kriterium, ob ein Warensortiment Grundbedarf sei, eine Besserstellung nicht mehr ohne weiteres begründen. Erforderlich wäre vielmehr, dass der angenommene Grundbedarf gerade die Differenzierung in den Öffnungsmodalitäten nahelege.
Wegen des untrennbaren Zusammenhangs der Regelungen zum Handel hat das Gericht diese insgesamt vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das bedeutet, dass ab sofort im gesamten Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen keine Kundenbegrenzung pro Quadratmeter mehr gilt und das Erfordernis der Terminbuchung entfällt. Der Senat hat allerdings darauf hingewiesen, dass es dem Land unbenommen ist, auch kurzfristig eine Neuregelung zu treffen, die keine unzulässigen Differenzierungen enthält.
Die durch den Media-Markt geltend gemachten grundlegenden Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen für den Einzelhandel teilte der Senat nicht.
Insbesondere sei die Beschränkung der Grundrechte der Einzelhändler angesichts der gravierenden Folgen, die ein erneuter unkontrollierter Anstieg der Neuansteckungen für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen hätte, voraussichtlich gerechtfertigt.
Die Schikanen der Landesregierung geht weiter
Dass sich die Dinge danach überraschend schnell in die andere Richtung entwickelt haben, hält HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth für fatal.
„Die Landesregierung in NRW hat eine Chance verpasst, faktenorientierte Politik zu machen, selbst das Robert-Koch-Institut sieht die Infektionsgefahr beim Einkauf als niedrig an.“
so der HDE-Vertreter
Die gekippte Verordnung
Der Antrag richtete sich gegen § 11 Absatz 3 Coronaschutzverordnung in NRW. Wegen des untrennbaren Zusammenhangs der in den einzelnen Absätzen der Vorschrift getroffenen Regelungen hat das Gericht § 11 Absatz 1 bis 5 Coronaschutzverordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt. In Bayern ist deren Inhalt unter § 12 „Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte“ in der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung geregelt.
Die in NRW außer Kraft gesetzte Vorschrift lautet:
§ 11 Handel, Messen und Märkte
3. Apotheken, Reformhäusern, Sanitätshäusern, Babyfachmärkten und Drogerien,
4. Tankstellen, Banken und Sparkassen sowie Poststellen und Schreibwarengeschäften,
5. Buchhandlungen und Zeitungsverkaufsstellen,
6. Futtermittelmärkten und Tierbedarfsmärkten,
7. Blumengeschäften und Gartenmärkten,
9. bei der Abgabe von Lebensmitteln durch soziale Einrichtungen (z.B. die sog. Tafeln)