BASEL – Dr. Daniele Gansers 2016 erschienenes Buch hat durch die Eskalation in Osteuropa eine neue Aktualität bekommen. In einem aktuellen Beitrag weist Dr. Ganser auf bisher wenig beachtete Tatsachen zu dem seit 2014 bestehenden Konflikt zwischen dem Westen und der Ukraine auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite hin.
Wer ist Dr. Daniele Ganser?
Dr. phil. Daniele Ganser ist Historiker und Friedensforscher. Hierbei hat er sich auf Zeitgeschichte seit 1945 und internationale Politik spezialisiert. Seine akademische Karriere scheiterte nach seinen Veröffentlichungen zu den Anschlägen vom 11. September auf die Zwillingstürme in New York. Ganser verbreitete hierzu Argumente, daß der dritte Turm gesprengt worden sei. Letztendlich führte dies zum Ende seiner ademischen Karriere. Seine Habilitation zum Professor scheiterte daraufhin an den Universitäten Basel und Zürich und sein letzter Lehrauftrag von an einem Institut der Universität St. Gallen zur Geschichte und Zukunft von Energiesystemen wurde durch die Universität St. Gallen im Jahr 2018 durch eine Reform des betreffenden Studienganges wegrationalisiert.
Aus Gansers Sicht hat er sich bei der Wahl zwischen Wahrheit und Politik für die Wahrheit entschieden und dafür persönliche Nachteile in Kauf genommen.
Von 2001 bis 2003 war Daniele Ganser zunächst bei der Denkfabrik Avenir Suisse in Zürich für Internationale Beziehungen und Politikanalyse zuständig. Dort leitete er die Kampagne von Avenir Suisse zur Volksinitiative zum Beitritt der Schweiz zur UNO.
Ab 2003 war er dann Mitglied im Beirat des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten und dort für zivile Friedensförderung und Menschenrechte zuständig.
Von 2003 bis 2006 hatte er eine Stelle als Senior Researcher an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik (Center for Security Studies, CSS) der ETH Zürich.
2006 gründete Ganser mit weiteren Kollegen aus der Wissenschaft eine Schweizer Filiale des britischen Vereins Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO).
Ab 2007 befasste sich Ganser als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Basel mit dem selben Thema «Peak Oil». In diesem Zusammenhang vertiefte er seine Forschungen in «Internationaler Zeitgeschichte seit 1945», «Verdeckter Kriegsführung und Geostrategie», «Geheimdienste und Spezialeinheiten», «Peak Oil und Ressourcenkriege» sowie «Wirtschaft und Menschenrechte».
Seine Forschungsschwerpunkte sind Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik.
2011 gründete Dr. Daniele Ganser das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel (www.siper.ch) und leitet dieses seither.
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Das Friedens-Gebot der UNO
Am 26. Juni 1945 wurde in San Francisco die UNO gegründet. Hierbei wurde auch die UNO-Grundakte festgelegt, auf die sich alle Länder verpflichtet haben.
»Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat -, haben beschlossen: Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«
Seit Gründung der UNO gilt damit ein weltweites Kriegsverbot. Dazu gibt es nur zwei Ausnahmen
- Selbstverteidigung
- Mandat des UNO-Sicherheitsrats.
Dr. Daniele Ganser zeigt jedoch, daß die Realität ganz anders aussieht und er thematisiert diese Abweichungen in seinen Forschungen und Vorträgen, unter anderem auch in seinem Buch „Illegale Kriege“. In diesem Buch beschreibt er, wie in der Vergangenheit illegale Kriege geführt wurden und in der Gegenwart illegale Kriege geführt werden. In dem Buch legt Dr. Ganser offen, wie das Kriegsverbot und die Regeln zur Kriegsführung gezielt sabotiert wurden. Hierbei geht er insbesondere mit den NATO-Mitgliedsstaaten hart ins Gericht.
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Anlässlich des Einmarschs Russlands in die Ukraine bringt Ganser sein Buch in Erinnerung
Der Mainstream schneidet ihn, Unabhängige feiern ihn:
- «Ganser hat zahllose Dokumente ausgewertet und analysiert. Er vermittelt dem Leser faktengesättigt seine fundierte kritische Weltsicht in verständlicher Form … Ganser verdeutlicht überzeugend, dass die Krisen unserer Gegenwart nicht selten in der imperialistischen Politik westlicher Großmächte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurzeln.» Quelle: Die Kriege der Mächtigen. Neues Deutschland, 17. Februar 2017
- «Ganser schildert komplexe Geopolitik so nachvollziehbar, dass ihm wohl auch ein 14-Jähriger ohne Vorkenntnisse folgen kann.» Quelle: „Akzeptierte Rechtsbrüche“, Rezension von Paul Schreyer in Hintergrund, Ausgabe 1/2017
- «Die klar exponierten historischen Fakten, die Dr. Ganser in seinem Buch ausbreitet, lassen einen geschockt erkennen, wie hinterhältig durchtrieben und lügnerisch diese illegalen Aggressionen geführt worden sind. Dabei konnte die Öffentlichkeit dank der allgemein verbreiteten, mangelhaften politischen Bildung mit Leichtigkeit getäuscht werden, wie Dr. Ganser ausführt. Politiker und Journalisten, Professoren und Studenten, Lehrer und Schüler sollten anfangen, sich für die zeitgeschichtlichen Fakten zu interessieren. Dazu ist genau die Lektüre des Buches von Dr. Ganser zu empfehlen. Es liefert die erforderliche Aufklärung über Schlüsselereignisse der jüngsten Zeitgeschichte bis heute.» Quelle: „Ein Buch der Aufklärung, das nach Taten verlangt“, Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkai, chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.), in der Neuen Rheinischen Zeitung, 12. Januar 2017
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Ganser beginnt seine Forschungen also dort, wo die im Westen verbreitete Version Lücken hat, wie hier um die Min. 8 und 11:
Der folgende Beitrag stammt nicht von uns, sondern von Dr.Daniele Ganser selbst, wie er ihn selbst bei Rubikon veröffentlicht hat Die folgenden Positionen sind daher die Positionen von Dr. Daniele Ganser, nicht die Unseren:
Die Initialzündung
Mit dem Maidan-Putsch im Februar 2014 wurde in der Ukraine die prorussische Janukowytsch-Regierung gewaltsam abgesetzt und durch eine prowestliche ersetzt. Exklusivabdruck aus „Illegale Kriege“.
Der Putsch in der Ukraine am 20. Februar 2014
Nachdem der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch sich im November 2013 geweigert hatte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, kam es auf dem bekannten Maidan-Platz in der Hauptstadt von Kiew zu großen Demonstrationen. Am 15. Dezember 2013 besuchte der amerikanische Senator John McCain das Protestlager auf dem Maidan und ermunterte die Demonstranten, die ukrainische Regierung zu stürzen.
Ende Februar eskalierte die Situation auf dem Maidan. Am 20. Februar 2014 kam es zu einem Massaker, als Scharfschützen aus verschiedenen Häusern auf Polizisten und Demonstranten schossen, es gab mehr als 40 Tote. Chaos brach aus. Sofort wurde die amtierende Regierung von Präsident Wiktor Janukowytsch und seine Polizeieinheit Berkut für das Massaker verantwortlich gemacht.
„Die Welt darf nicht zuschauen, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet“,
kommentierte der Boxer Vitali Klitschko, der die Regierung stürzen wollte, im deutschen Boulevardblatt Bild. Der Regime Change war erfolgreich: Janukowytsch wurde gestürzt und floh nach Russland.
Doch wer steckte wirklich hinter dem Putsch?
„Wer geschossen hat, kann man nicht sagen, ich weiß es auch nicht“,
erklärte Ina Kirsch, die am 20. Februar in Kiew gewesen war und zuvor als Direktorin des European Centre for a Modern Ukraine amtierte.
Viele der Demonstranten waren bezahlt, so Kirsch.
Auch das deutsche Fernsehen ARD untersuchte den Putsch und schickte ein Team von Journalisten in die Ukraine.
so der deutsche Journalist Stephan Stuchlik vom Politikmagazin Monitor.
Monitor erklärte in einer spannenden Sendung, dass die durch den Putsch an die Macht gekommene Regierung ihre Staatsanwaltschaft auf die Berkut-Truppe lenkte und diese für das Massaker verantwortlich machte.
(Wer den folgenden Beitrag nicht sehen kann, findet ihn hier in der ARD-Mediathek)
so Stuchlik. Doch diese These passt nicht zu den Fakten.
erklärt Stuchlik.
Nach dem Putsch kamen in der Ukraine mit Premierminister Arsenij Jazenjuk und Präsident Petro Poroschenko zwei Freunde der USA an die Macht, die das Land in die NATO führen wollen. Derzeit gebe es zwar „keine Mehrheit für einen NATO-Beitritt“ in der Ukraine, räumte der neue Präsident Poroschenko im Mai 2014 ein, versprach aber, sich für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu engagieren.
Fuck the EU: Der illegale Putsch der USA in Kiew
Während der gestürzte Präsident Janukowytsch in Russland Asyl erhielt, reiste der durch den Putsch an die Macht gekommene neue Präsident Petro Poroschenko nach Washington und hielt im September 2014 vor dem US-Kongress eine flammende Rede, in der er erklärte:
Inzwischen muss auf der Basis der verfügbaren historischen Dokumente davon ausgegangen werden, dass die USA den Putsch in der Ukraine im Februar 2014 unterstützten.
Auch eine detaillierte Untersuchung des Putsches durch den Politologen Ivan Katchanovski von der School of Political Studies der Universität Ottawa bestätigt, dass sich in der Ukraine im Februar 2014 ein Putsch ereignete. Die Berkut waren nur die Sündenböcke, denen man das Verbrechen im Rahmen einer Operation unter falscher Flagge in die Schuhe schob, um den amtierenden Präsidenten zu diskreditieren.
Eine sehr ähnliche Analyse vertrat auch der estnische Außenminister Urmas Paet, der in einem abgehörten Telefongespräch schon am 26. Februar 2014, also nur sechs Tage nach dem Massaker, der Hohen Beauftragten der EU für Außenpolitik, Catherin Ashton, erklärte, die toten Demonstranten vom 20. Februar seien nicht etwa vom Regime ermordet worden, sondern von ihren eigenen Mitstreitern, die heute die Regierung stellen.
Paet erklärte, die Verletzungen der toten Demonstranten sowie die einiger Polizisten, die an jenen Tagen ebenfalls erschossen worden waren, trügen „dieselbe Handschrift“. Es sei „dieselbe Art von Geschossen“ verwendet worden. Paet fügte hinzu, es gebe deshalb eine immer stärker werdende „Auffassung, dass hinter den Heckenschützen nicht Janukowytsch stand, sondern jemand aus der neuen Koalition“, also der Gruppe um Poroschenko, die durch den Putsch an die Macht kam. Ashton zeigte sich von den Aussagen des estnischen Außenministers bestürzt und antwortete:
„Ich denke, wir wollen eine Untersuchung. Ich meine, ich weiß nicht. Meine Güte “(9).
In den meisten Zeitungen in Europa und Amerika wie auch auf den bekannten Fernsehsendern war kaum etwas über diese geheime Seite der internationalen Politik zu lesen oder zu hören. Daher hatte die Mehrheit der Bevölkerung nie den Eindruck, dass die USA in der Ukraine gerade eine Regierung gestürzt hatten.
Doch Paul Craig Roberts, der als stellvertretender Finanzminister in der Administration Reagan gedient hatte, bestätigte genau dies.
so Roberts.
Victoria Nuland hat im amerikanischen Außenministerium den Putsch organisiert, die neue Regierung um Premierminister Jazenjuk zusammengestellt und die Europäer mit dem Zitat „Fuck the EU“ beleidigt, wie aus einem abgehörten Telefongespräch hervorgeht. Kurz vor dem Putsch vom 20. Februar hatte Nuland mit US-Botschafter Geoffrey Pyatt in Kiew telefoniert. Pyatt war für den Kontakt zu den Putschisten verantwortlich.
Wenige Wochen vor dem Putsch war US-Außenminister John Kerry am 2. Februar 2014 an der Münchner Sicherheitskonferenz medienwirksam mit den ukrainischen Oppositionspolitikern Petro Poroschenko, Vitali Klitschko und Arsenij Jazenjuk aufgetreten, hatte sie gelobt und ihnen vor den Blitzlichtern der Fotografen die Hand geschüttelt. Nach dem Putsch wurden Jazenjuk Premierminister und Poroschenko Präsident, genau wie Nuland und ihr Vorgesetzter Außenminister John Kerry es wünschten. Vitali Klitschko, der frühere Boxweltmeister im Schwergewicht, musste sich mit dem Posten des Bürgermeisters von Kiew zufriedengeben.
Einige Ukrainer wussten, dass die Amerikaner ihre Regierung stürzen wollten. Im ukrainischen Parlament hatte der Abgeordnete Oleg Tsarov die amerikanischen Putschvorbereitungen in einer Rede, die durch viele Zwischenrufe unterbrochen wurde, schon am 20. November 2013 aufgedeckt. „In meiner Rolle als Vertreter des ukrainischen Volkes erhielt ich von Aktivisten der Organisation Volya klare Beweise, dass auf unserem Territorium, mit Unterstützung und direkter Beteiligung der amerikanischen Botschaft in Kiew, ein ‚TechCamp‘-Projekt durchgeführt wird, im Rahmen dessen ein Bürgerkrieg in der Ukraine vorbereitet wird.“ Im Rahmen des Projektes werde die Revolution geschürt, um die amtierende Regierung zu stürzen.
„Das Projekt wurde durch den amerikanischen Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, überwacht und läuft unter seiner Verantwortung“, enthüllte der Parlamentarier Tsarov. „Amerikanische Instruktoren haben erklärt, wie das Internet und die digitalen sozialen Netzwerke genutzt werden können, um die öffentliche Meinung zu manipulieren … und gewalttätige Unruhen zu provozieren.“ Diese Techniken habe man schon erfolgreich in Libyen, Ägypten und Tunesien eingesetzt. Gemäß der UNO-Charta sei es aber „unzulässig, in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzugreifen“, protestierte Tsarov richtig. „Das müssen wir untersuchen!“ Doch seine Forderung fand keine Mehrheit (12).
Das abgehörte Gespräch zwischen Victoria Nuland und Botschafter Pyatt ist der historische Beweis dafür, dass die USA die Regierung in der Ukraine stürzen. Als das abgehörte Telefonat mit der irritierenden Aussage „Fuck the EU“, also „Scheiß auf die EU“, publik wurde, war dies Nuland natürlich peinlich.
„Natürlich hat Frau Nuland mit ihren europäischen Partnern gesprochen und sich für die Bemerkungen entschuldigt“,
teilte Jennifer Psaki, die Sprecherin des US-Außenministeriums in Washington am 7. Februar 2014 mit (13). Bundeskanzlerin Angela Merkel war nicht amüsiert und ließ über eine Sprecherin ausrichten, sie halte diese Äußerung von Nuland für „absolut unakzeptabel“. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin ergänzte:
„Hieran sieht man einmal mehr, abhören ist halt blöd“ (14).
Dass sich Nuland schon seit Monaten mit dem Regime Change in der Ukraine befasst hatte, ist aus ihren öffentlichen Stellungsnahmen klar zu entnehmen.
„Seit der Unabhängigkeit 1991 hat das amerikanische Volk den Übergang der Ukraine zur Demokratie und Marktwirtschaft mit fünf Milliarden US-Dollar unterstützt, im Haushaltsjahr 2013 überstiegen unsere Hilfen 100 Millionen US-Dollar“,
so Nuland in einem Vortrag am 14. November 2013 vor dem einflussreichen Atlantic Council in Washington.
Das US-Imperium trachtete danach, seinen Einfluss auf die Ukraine auszuweiten. Man versuche einen Wirtschaftsraum aufzubauen,
„der von Lissabon bis Donezk reicht und der angeregt wird durch marktorientierte Reformen“, schwärmte Nuland. „In dieser Absicht verhandeln die EU und die Vereinigten Staaten die Transatlantische Freihandelszone TTIP, die Wachstum, Investitionen und Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks verspricht“ (15).
Natürlich ist es gemäß der UNO-Charta illegal und ein Bruch des Völkerrechts, eine Regierung in einem fremden Land zu stürzen. Das wissen auch die Amerikaner.
„Wir haben alle die Aufnahmen von Mitarbeitern des Außenministeriums gehört, wie sie sich zusammen mit dem US-Botschafter in der Ukraine zum Sturz der Regierung verschworen haben“, kritisierte der ehemalige amerikanische Kongressabgeordnete Ron Paul. „Wir haben gehört, wie die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland damit geprahlt hat, dass die USA 5 Milliarden Dollar für den Regimewechsel in der Ukraine ausgegeben haben. Warum ist das o. k.?“ (16).
Auch der deutsche Staatsrechtsprofessor Karl Albrecht Schachtschneider hat den Putsch in der Ukraine zu Recht als völkerrechtswidrig kritisiert. „Der Westen hat den Umsturz in der Ukraine gefördert, wenn nicht betrieben“, so Schachtschneider.
„Das waren schwere Verletzungen der inneren und äußeren Souveränität der Ukraine. Dass der ‚Maidan‘ nicht wesentlich aus eigenem Antrieb und eigener Kraft von Bürgern der Ukraine kam, ist offensichtlich“, erkannte Schachtschneider zwei Monate nach dem Putsch. Der Westen habe „das bewährte Verfahren des Umsturzes, der vermeintlich irgendwie gefärbten Revolution, genutzt“. Im Kern gehe es um die Ausdehnung der NATO. „Es gibt wenig Zweifel, dass der Westen ›subversiv‹, wie das Völkerrecht es nennt, interveniert hat, um eine genehme Regierung zu haben, welche bereit ist, die Ukraine in die EU und irgendwann auch in die NATO zu führen“, so der deutsche Rechtsgelehrte (17).
Die Russen waren über den Putsch sehr verärgert. „Ich glaube, dass diese Krise willentlich geschaffen wurde“, kritisierte Putin gegenüber der italienischen Zeitung Corriere della Sera. Die Berichterstattung in den westlichen Medien „über diesen Prozess war absolut inakzeptabel“, so der russische Präsident.
Die NATO-Länder hätten den Putsch verhindern können, zeigte sich Putin überzeugt.
„Wenn Amerika und Europa zu jenen, die diese verfassungswidrigen Handlungen begangen haben, gesagt hätten: ‚Wenn ihr auf eine solche Weise an die Macht kommt, werden wir euch unter keinen Umständen unterstützen. Ihr müsst Wahlen abhalten und sie gewinnen‘, dann hätte sich die Lage völlig anders entwickelt.“
Doch das taten die NATO-Länder nicht. Danach sei Russland gezwungen gewesen zu reagieren.
„Ich würde es gerne noch einmal betonen: Das war nicht unsere Entscheidung, wir haben es nicht gesucht, wir wurden schlicht gezwungen, auf das, was geschehen ist, zu reagieren“ (18).
Die Rückeroberung der Krim im März 2014
Die Russen beobachteten die Ereignisse in Kiew sehr genau. Über den ukrainischen Geheimdienst ließen sie die wichtigsten Akteure überwachen. Die Schüsse am 20. Februar 2014
„kamen vom Philharmonie-Gebäude auf dem Maidan-Platz. Dieses Gebäude … war im Verantwortungsbereich des Maidan-Komandanten Andrei Parubij“,
erklärte Alexander Jakemenko, der unter dem gestürzten Präsidenten Janukowytsch den ukrainischen Geheimdienst geleitet hatte.
„Ich war bereit, eine Sondereinheit auf den Maidan zu schicken, um die Scharfschützen zu bekämpfen, aber Parubij ließ dies nicht zu“,
behauptet der Geheimdienstchef. Parubij habe für den Oligarchen Poroschenko gearbeitet, der nach dem Putsch die Macht ergriff. Poroschenko und Parubij hätten den Putsch koordiniert und
„im Grunde genommen in der US-Botschaft gewohnt, weil es keinen einzigen Tag gab, an dem sie die US-Botschaft in Kiew nicht besucht hatten“ (19).
Präsident Vladimir Putin hatte nicht die Absicht, die Ukraine kampflos aufzugeben. Gemäß eigenen Angaben hat Putin unmittelbar nach dem Sturz von Janukowytsch in den frühen Morgenstunden des 23. Februar 2014 den Auftrag gegeben, mit der „Rückholung“ der Krim zu beginnen. Bis zu diesem
„Staatsstreich … haben wir nie daran gedacht, die Krim von der Ukraine zu teilen“,
erklärte Putin im russischen Fernsehen.
Doch als nach dem Putsch klar wurde, dass in Kiew eine proamerikanische und russlandfeindliche Regierung an die Macht gelangt war, habe man den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte und die strategischen Interessen von Russland verteidigen müssen (20).
Russische Soldaten in grünen Uniformen ohne Abzeichen besetzten am 27. Februar 2014 alle strategischen Punkte in Simferopol, der größten Stadt auf der Halbinsel Krim. Am 28. Februar 2014 bat das ukrainische Parlament angesichts der unmarkierten Soldaten auf der Krim den UNO-Sicherheitsrat um Hilfe, um die „Aggression der Russischen Föderation“ zu stoppen.
Da die russischen Soldaten nicht über ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates verfügten, war die militärische Intervention auf der Krim illegal. Dieser illegalen russischen Intervention war jedoch ein illegaler amerikanischer Putsch in Kiew vorausgegangen, für den auch kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorlag. Der Putsch in Kiew und die darauf folgende Besetzung der Krim zeigen, dass der Bruch des Völkerrechts durch ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates äußerst gefährlich ist.
„‚Man marschiert nicht in fremde Staatsgebiete ein‘, erklärt Friedensnobelpreisträger Obama mit Blick auf die Krim und den Donbass“, kommentierte der Theologe Eugen Drewermann während einer Friedensdemonstration in Berlin im Dezember 2014. „Aber wer marschierte denn ein in Vietnam, in den Irak, wie nebenbei in Somalia, in Grenada und in Panama, in Afghanistan, ein zweites Mal dann in den Irak? Und wer belog dabei die Welt vom Tonkin-Zwischenfall beginnend über die Babys in kuwaitischen Krankenhäusern über den serbischen Hufeisenplan bis hin zu den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins?“ Das US-Imperium, so Drewermann, habe jegliche moralische Autorität verloren und sei daher nicht qualifiziert, andere Länder zu kritisieren (21).
Der UNO-Sicherheitsrat traf sich in New York am 1. März 2014, um die Lage in der Ukraine zu besprechen. „Russische Truppen sind illegal auf das Territorium der Ukraine auf der Halbinsel Krim vorgedrungen“, klagte Botschafter Yuriy Sergeyev, der Vertreter der neuen ukrainischen Regierung, wodurch Russland die UNO-Charta „brutal verletzt habe.“
Der russische Botschafter Vitaly Churkin erwiderte, dass Russland der Meinung sei,
„dass der Sturz von Präsident Janukowytsch illegal war“. Janukowytsch sei der demokratisch und legal gewählte Präsident der Ukraine gewesen. Durch die Entwicklung der Ereignisse in der Ukraine in den letzten Tagen sei man nun „in eine Krise geraten, die es eigentlich nicht geben sollte. Es gab überhaupt keinen objektiven Grund für den Ausbruch dieser Krise“, so Churkin, der dem Westen vorwarf, die Demonstrationen in den Straßen von Kiew unterstützt zu haben. „Warum haben einige unserer Kollegen aus dem Westen bewaffnete Kämpfer auf die Straße gebracht“ und eine Konfrontation angestachelt, fragte der russische Botschafter. „Warum gab es so grobe Eingriffe in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Landes?“ (22).
Die USA sahen es natürlich anders. Die amerikanische UNO-Botschafterin Samantha Power forderte alle UNO-Mitgliedsländer auf,
„die neue Regierung der Ukraine zu unterstützen und alle unnötige Gewalt zu vermeiden“.
Verlogen betonte Frau Power, dass keine ausländische Macht in der Ukraine intervenieren dürfe, obschon die USA mit dem Putsch genau das eben getan hatten. Power hielt dies geheim und kritisierte stattdessen die russische Intervention:
„Wir sind sehr beunruhigt über Berichte, die wir heute Morgen erhalten haben über eine Intervention des russischen Militärs auf der Krim“,
so Power.
„Es gibt keine legale Basis für diese Intervention. Russland verletzt die Souveränität und territoriale Integrität und Unabhängigkeit der Ukraine“, protestierte Power. „Es ist unser großes Anliegen, diese Konfrontation zu beenden und eine Lösung zu finden, welche es der Bevölkerung der Ukraine erlaubt, ihr eigenes Schicksal, ihre eigene Regierung und ihre eigene Zukunft zu bestimmen“ (23).
Der britische UNO-Botschafter Sir Mark Lyall Grant schloss sich den USA an und erklärte, die russische Militäraktion sei
„eine große Bedrohung für die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine. Wir verurteilen jede Aggression gegen die Ukraine“,
beteuerte Grant, und
„unterstützen die neue Regierung der Ukraine.“
Der Botschafter von Frankreich Gerard Araud erklärte vorsichtig, dass es
„eine gefährliche Entwicklung wäre“,
wenn Russland Truppen in die Ukraine senden würde, mahnte aber gleichzeitig auch die ukrainische Regierung, die
„begründeten russischen Interessen zu berücksichtigen“ (24).
Präsident Putin erkannte schnell, dass die UNO in New York blockiert war. Am 1. März holte er beim russischen Parlament die Genehmigung ein, mit Streitkräften in der Ukraine zu intervenieren, um bedrohte russische Landsleute sowie die Soldaten der Schwarzmeerflotte zu schützen.
Am 4. März erklärt Putin im Fernsehen, der Regime Change in Kiew sei ein verfassungswidriger Staatsstreich gewesen. Am selben Tag bestritt Putin, dass die militärischen Kräfte auf der Krim ohne Hoheitszeichen russische Soldaten seien, es handle sich um „örtliche Selbstverteidigungskräfte“. Erst am 16. April 2014 räumte Putin in einer Fernsehfragestunde ein, dass es sich bei den freundlichen „grünen Männchen“ um russische Truppen gehandelt hatte (25).
Auf der Halbinsel Krim und im Osten der Ukraine sprechen die meisten Menschen Russisch und fühlen sich Russland verbunden. Schon am 16. März 2014 stimmten daher 97 Prozent der Bevölkerung der Krim für den Austritt aus der Ukraine und den Anschluss an Russland.
Darauf folgte unmittelbar der Antrag auf Beitritt zur Russischen Föderation, den Moskau schon am 18. März annahm. Alles ging sehr schnell. Seither gehört die Halbinsel Krim nicht mehr zur Ukraine, sondern zu Russland.
„Unsere Kollegen in Westeuropa und Nordamerika sagen nun, wir verstoßen gegen das Völkerrecht“, verteidigte sich Putin nach der Angliederung der Krim in einer Rede im Kreml. „Nun, zumindest erinnern sie sich daran, dass es das Völkerrecht überhaupt gibt — besser spät als nie“,
was zu Gelächter im Saal führte. Russische Streitkräfte seien nicht in die Krim einmarschiert,
„denn sie waren schon dort — einem internationalen Abkommen entsprechend. Ja, wir haben unsere Präsenz dort verstärkt, die vereinbarte Truppenstärke aber nicht überschritten, weil das nicht notwendig war“,
räumte Putin ein. Die Charta der Vereinten Nationen betone das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, erklärte Putin.
„Als die Ukraine ihre Unabhängigkeit von der UdSSR erklärte, argumentierte sie genau so, fast Wort für Wort. Die Ukraine hat dieses Recht ausgeübt, doch den Bewohnern der Krim wird es verwehrt. Warum?“ Beim bekannten Präzedenzfall Kosovo habe der Westen zudem erklärt, dass die einseitige Abspaltung von Kosovo von Serbien legitim sei und keiner Zustimmung der Zentralregierung bedürfe. Es sei nicht einzusehen, warum nun für die Krim andere Maßstäbe gelten sollten. Russland werde seinen Marinestützpunkt Sewastopol nicht der NATO überlassen, weil dies „eine ganz reale Bedrohung für den gesamten Süden Russlands“ wäre (26).
Ähnlich wie Gaddafi vor ihm kritisierte Putin das US-Imperium in seiner Rede scharf.
„Die Vereinigten Staaten von Amerika lassen sich nicht vom Völkerrecht leiten, sondern von ihrer militärischen Macht. Sie agieren, wie es ihnen gefällt“,
so Putin. Um ihren
„Aggressionen einen Anschein von Legitimität zu geben, erzwingen sie die erforderlichen Resolutionen internationaler Organisationen, und wenn das aus irgendeinem Grund nicht funktioniert, setzen sie sich über den Sicherheitsrat und die gesamte UNO hinweg“,
wie zum Beispiel beim Angriff auf Jugoslawien 1999.
„War dieses Vorgehen durch ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates gedeckt? Nein. Und dann überfielen sie Afghanistan, den Irak, ganz offen missachtete man die Libyen-Resolution des UNO-Sicherheitsrats, als man statt eine sogenannte Flugverbotszone einzurichten auch dort mit Bombenangriffen begann.“ Diese wiederholte Missachtung des Völkerrechts habe den internationalen Beziehungen sehr geschadet (27).
Hier können Sie das Buch bestellen: „Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien“
Quellen und Anmerkungen:
(11) Video und Text in: Victoria Nulands Ausrutscher. Spiegel Online, 7. Februar 2014.
(12) Proof of US Sponsored coup in Ukraine. InvestmentWatch (IWB). Spreading the truth. Empowering the people. 28. Januar 2015.
(13) Video und Text in: Victoria Nulands Ausrutscher. Spiegel Online, 7. Februar 2014.
(14) „Fuck the EU“ für Merkel „absolut unakzeptabel“. Die Welt, 7. Februar 2014.
(15) Norman Spreng: Putin-Versteher: Warum immer mehr Deutsche Verständnis für
Russland haben (Books on Demand 2015), S. 15.
(16) Ron Paul: Reckless Congress ›declares war‹ on Russia. Ron Paul Institute for Peace and Prosperity. 4. Dezember 2014.
(17) Karl Albrecht Schachtschneider: Der Kampf um die Krim als Problem des Staats- und Völkerrechts. Zeit-Fragen, 22. April 2014.
(18) Wladimir Putin: Interview with the Italian newspaper Il Corriere della Sera, 6. Juni
2015.
(19) Jakemento: Ukrainischer GeheimdienstChef: Putsch in Kiew wurde aus US-Bot-
schaft gesteuert. Russischer Sender Rossija 1, 12. März 2014.
(20) Russlands Krim Coup. Neue Zürcher Zeitung, 18. März 2015.
(21) Eugen Drewermann. Wir sind hier, Nein zu sagen – Rede zur Demonstration vor dem Bundespräsidialamt in Berlin, 13. Dezember 2014.
(22) UNO-Sicherheitsrat, 1. März 2014.
(23) UNO-Sicherheitsrat, 1. März 2014.
(24) UNO-Sicherheitsrat, 1. März 2014.
(25) Wie die Krim innert 20 Tagen russisch wurde. Neue Zürcher Zeitung am Sonntag,
23. März 2014.
(26) Putins Rede an die Welt, Neue Zürcher Zeitung, 23. März 2014.
(27) Putins Rede an die Welt, Neue Zürcher Zeitung, 23. März 2014