Antwort auf Anfrage: Bringt das BGH-Urteil III ZR 60/16 das Ende der Naturbadeseen in Bayern?

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KARLSRUHE / MÜNCHEN – Wie von Druiden-Mund zu Druiden-Ohr macht die letzten beiden Jahre ein Urteil des BGH von sich reden und sorgt für Panik unter den Betreibern von Städten und Kommunen, die Badeseen in ihrem Eigentum haben. In Folge des Urteils wurden schon Rutschen abgebaut und Sprungtürme stillgelegt.

Doch was ist dran an diesem Urteil?

 

Zu viele reden darüber, zu wenige haben es gelesen

DAs  Urteil des BGH „BGH-III ZR 60/16“ sorgt noch immer in vielen Kommunen für Aufregung und Verwirrung: So meldete der BR:

Haftung bei Badeunfällen nach BGH-Urteil. Es sind genau diese Teile, die Stege, Treppen, Toiletten, die nun zum Problem werden könnten. Laut einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes können Kommunen für Unfälle an “künstlich aufgestellten Einrichtungen” an Badeseen in Haftung genommen werden. Wenn beispielsweise ein Schwimmer mit dem Kopf gegen einen Schwimmsteg stößt und sich verletzt, ist die Gemeinde dafür verantwortlich, dass der Schwimmer schnell gerettet wird. Ansonsten könnten Schadensersatzforderungen erhoben werden. Bürgermeister Michael Behringer müsste also entweder eine Badeaufsicht einstellen, oder dafür sorgen, dass alles abgebaut wird ...”

Ein Blick in das Urteil lehrt jedoch: Der Begriff  “künstlich aufgestellten Einrichtungen”  kommt in diesem Urteil gar nicht vor! Der Begriff “künstlich” kommt darin zwar schon vor, allerdings nur ein einziges Mal und das im Tatbestand RdNr. 2

Die beklagte Verbandsgemeinde (Beklagte zu 3) betreibt einen künstlich angelegten, jedoch naturnah gestalteten Badesee als öffentliche Einrichtung. § 10 Abs. 1 der Bade- und Benutzungsordnung bestimmt, dass die Benutzung der Anlage auf eigene Gefahr und Verantwortung erfolge. Bei Unfällen trete eine Haftung nur ein, wenn dem Badepersonal Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werde. Das Hauptbecken des Schwimmbads beinhaltet einen etwa neun Meter breiten und 16 Meter langen Schwimmerbereich, in dem die Wassertiefe mehrere Meter beträgt… Die Bojen waren zum Unfallzeitpunkt jeweils einzeln an einer auf dem Beckengrund befindlichen Verankerung in einem Abstand von 2,5 m bis 3 m mit Hilfe von 6 bis 8 mm starken, flexiblen Seilen befestigt und nicht miteinander verbunden. Am 9. Juli 2010 besuchte die damals zwölfjährige Klägerin das Naturschwimmbad. Beim Baden verfing sie sich aus ungeklärten Umständen mit einem Arm in der Befestigungsschnur einer Boje, die hierdurch zumindest teilweise unter die Wasseroberfläche gezogen wurde…. Der Aufsicht hätte gerade im Hinblick auf die vergleichsweise lockere Verbindung der Boje mit der Befestigung am Schwimmbadgrund bewusst sein müssen, dass die Absenkung der Boje auch durch einen in Not geratenen Badegast verursacht worden sein konnte. Dass in der Vergangenheit Befestigungsseile bereits häufiger von Kindern und Jugendlichen zusammengeknotet worden und die Schwimmkörper dadurch ganz oder teilweise unter die Wasseroberfläche geraten waren, rechtfertigte es nicht, davon abzusehen, sofort selbst die Situation zu klären. Da die abgesenkte Boje jedenfalls auch auf eine in Lebensgefahr befindliche Person hindeuten konnte, mithin höchste Güter auf dem Spiel standen, war die Badeaufsicht der Beklagten zu 3 auch dann zu einem sofortigen eigenen Eingreifen verpflichtet… “.

Damit geht es im Urteil um Schwimmbäder, die sowieso eine Aufsicht haben und nicht um natürliche Badeseen ohne Aufsichten, in welchen man auf eigene Gefahr schwimmt. Außerdem geht es nicht um “ künstliche Einrichtungen “, sondern darum, ob ein Schwimmaufseher bei einer Boje unter Wasser auf  die Idee kommen muß, daß dort ein Kind hängen könnte.

 

Grüner Stadtrat verbreitet Panik

Dessen ungeachtet bringen diverse Stadträte in Bayern das Urteil mit “ „künstlich aufgestellten Einrichtungen“ an Badeseen “ in Verbindung, wie dieser Stadt- und Kreisrat der Grünen:

Wir Stadträte sind haftbar“: Vielleicht hilft dem Oderdinger Wutbürger Uwe Ryck die eine oder andere Faktendarlegung, um seine Meinung über die mutlosen und verantwortungsscheuen Volksvertreter zu überdenken: Der Anlass der ganzen Malaise ist ein Grundsatz-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.11.2017, „BGH-III ZR 60/16“, das Kommunen für Unfälle an „künstlich aufgestellten Einrichtungen“ an Badeseen in Haftung nimmt. Ein Mädchen hatte sich im Jahr 2010 bei einem Badeunfall in einem Naturschwimmbad in Rheinland-Pfalz irreparable Schäden zugezogen. Seit dem klagten die Eltern gegen die Kommune – 2017 gab ihnen der BGH dann in der letzten Instanz recht, nachdem alle Vorinstanzen gegensätzlich entschieden hatten! Kurz und knapp besagt die achtseitige Urteilsbegründung: „Von allem was jemand, zB. eine Kommune, künstlich an einer unbeaufsichtigten Badegelegenheit schafft, darf keine Gefahr ausgehen.“ Anders ausgedrückt, das BGH-Urteil drehte im Kern die Beweislast bei Badeunfällen grundsätzlich um. Deswegen unterscheiden Versicherungen nunmehr nach Badestellen bzw. Naturbädern. Der „Ditsch’ge“ ist somit eine Badestelle, kein Naturbad, weil die Stadt dafür Infrastruktur geschaffen hat! Ergo, sind wir, die Stadträtinnen und Stadträte, im Falle eines Falles, haftbar!… Denn damit wurde eine Norm von neuer Qualität gesetzt. Einsprüche dagegen müssten vors Bundesverfassungsgericht, wenn jemand meint, das Urteil verstoße gegen seine persönlichen Grundrechte.  Alfred Honisch, Stadtrat, Weilheim

Wie man angesichts des Wortlauts aus dem Urteil auf derartige Ideen kommen kann, ist schwer nachvollziehbar. Dennoch machen derartige Gedanken die Runde und verunsichern die Bevölkerung und die Kommunalpolitiker.

 

Franz Bergmüller (MdL) fragt nach

Um zur Klärung beizutragen hat der Abgeordnete Bergmüller beim zuständigen Justiz-Ministerium nachgefragt und folgedne Auszüge in den Antworten erhalten:

 

Frage 1:

Ist das BGH-Urteil vom 23.11.2017, „BGH-III ZR 60/16“  auf unbeaufsichtigte im Eigentum des Freistaats befindliche Badeseen anwendbar?

„Auf dieser Grundlage ist die Frage nach Auffassung der Staatsregierung zu ver-neinen, das heißt, das BGH-Urteil vom 23. November 2017 – III ZR 60/16 – ist auf unbeaufsichtigte im Eigentum des Freistaats befindliche Badeseen nicht anwendbar.,, bewerten:
– Die Ausführungen des BGH zum Umfang der Pflichten einer vorhandenen Ba-deaufsicht sind für die rechtliche Bewertung von Unfällen bei unbeaufsichtigten Badeseen nicht relevant.
– Auch die Aussage des BGH zur Beweislastumkehr kann aus Sicht der Staats-regierung bei Rechtsstreitigkeiten um Unfälle bei unbeaufsichtigte Badeseen keine Bedeutung entfalten.“

 

Frage 2:

Ist das BGH-Urteil vom 23.11.2017, „BGH-III ZR 60/16“  auf unbeaufsichtigte im Eiigentum des Freistaats befindliche “ “künstlich aufgestellten Einrichtungen” “ an Badeseen anwendbar (Bitte nach im Wasser befindliche Einrichtungen  und außerhalb des Wassers befindliche Einrichtungen unterscheiden)?

 

Dies ist zu verneinen, das heißt, das BGH-Urteil vom 23. November 2017 – III ZR 60/16 – ist auf unbeaufsichtigte im Eigentum des Freistaats befindliche „künstlich aufgestellten Einrichtungen“ an Badeseen nicht anwendbar. Die Ausführungen des BGH betreffen Fälle, in denen eine Badeaufsicht vorhanden ist. Auf die Ant-wort zu Frage 1 wird Bezug genommen. Wie dort dargestellt beziehen sich die Aussagen des BGH-Urteils

  • auf den Pflichtenkreis als Aufsicht eingesetzter Personen sowie
  • auf die Beweislast in Bezug auf die Ursachenbeziehung zwischen einer groben (Berufs-)Pflichtverletzung einer

Schwimmbadaufsicht und einem eingetretenen Schaden.
Beide Aussagen können bei unbeaufsichtigten Badeseen keine Bedeutung erlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese mit künstlichen Einrichtungen versehen sind oder nicht. Damit kann auch keine Differenzierung nach „im Wasser befindliche Einrichtungen und außerhalb des Wassers befindlichen Einrichtungen“ vorgenommen werden.“

 

Frage 3:

Kann nach Rechtsansicht der Staatsregierung die Staatsregierung aus dem Urteil heraus bei einem Unfall an ” künstlich aufgestellten Einrichtungen “ an den in 1 abgefragten Badeseen in Haftung genommen werden (bitte genau darlegen)?

„Die Frage ist zu verneinen, das heißt, nach Rechtsansicht der Staatsregierung kann die Staatsregierung nicht aus dem Urteil heraus bei einem Unfall an „künstlich aufgestellten Einrichtungen“ an den in 1 abgefragten Badeseen in Haftung genommen werden. Bei den „in 1 abgefragten Badeseen“ handelt es sich ausweis-lich Frage 1 um unbeaufsichtigte Seen. Wie dargestellt erlangen die Kernaussagen des Urteils bei unbeaufsichtigten Badeseen keine Relevanz. Auf die Ausführungen zu Fragen 1 und 2 wird Bezug genommen.
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es regelmäßig nicht „die Staatsregierung“ oder der Freistaat Bayern ist, der Badestellen o. ä. an Seen eröffnet.“

 

Frage 4:

Wie verhält es sich bei von Schwimmm-Meistern / Wasserwacht beaufsichtigten Naturbadeseen in den Fällen 1 bis 3?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die mit dem Urteil getroffenen Kernaussagen in solchen Fällen u.U. relevant werden könnten. Aus der Antwort zu Frage 1, auf die wegen der Details Bezug genommen wird, geht hervor:
Das Urteil konkretisiert die Pflichten der Badeaufsicht. Dies kann in einem Rechtsstreit relevant sein, wenn die Parteien darüber streiten, ob die Badeaufsicht ihren Pflichten genügt, also etwa den Badebetrieb ausreichend überwacht hat.
Auch die Aussage des BGH zur Beweislastumkehr könnte unter ganz bestimmten Umständen relevant werden. Voraussetzung dafür wäre: Das Gericht ist von einer groben Pflichtverletzung der Badeaufsicht überzeugt. Diese Pflichtverletzung ist geeignet, den entstandenen Schaden zu verur-sachen. Nach Ausschöpfung aller Beweismittel bleibt offen, ob der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn der Schwimmmeister/Rettungsschwim-mer sich pflichtgemäß verhalten hätte. Unter diesen Voraussetzungen würde die Beweislastumkehr dem Geschädigten (Kläger) helfen und könnte unter Umständen für sein Obsiegen im Rechtsstreit den Ausschlag geben.
Hervorzuheben ist zur Vermeidung von Missverständnissen an dieser Stelle aber, dass das BGH-Urteil nichts dazu besagt, unter welchen Umständen und in welchem Umfang eine Aufsicht erforderlich ist. Erst recht sagt das Urteil nichts darüber aus, unter welchen Umständen aufgrund künstlicher („bädertypischer“) Ausbauten bei natürlichen Gewässern eine Aufsichtspflicht einsetzt.