KARLSRUHE / BERLIN – Bundesverfassungsgericht weist Bundesregierung, Bundespräsident und die über den Bundesrat mitverantwortlichen Länderregierungen in die Schranken und ermahnt sie den Übergriffen des Vertragsgeflecht EU und der von der EU hervorgebrachten EZB auf die souveränen Nationalstaaten nicht länger tatenlos zuzusehen.
Dieser Vorgang ist einzigartig in der Geschichte der Republik und lohnt einen genaueren Blick:
Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB
Die Aufgabe der EZB ist es, die Preise im Euro-Raum stabil zu halten. Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Preise in der EU stabil gehalten werden sollen, also daß z.B. Italien keine andere Inflationsrate hat, als Deutschland.
Zu diesem Zweck, behauptet die EZB, müsse sie Staatsanleihen kaufen, also Schuldverschreibungen der Nationalstaaten kaufen. Der Kauf von diesen Staatsanleihen sei ein geldpolitisches Instrument, um den Leitzins regulieren zu können, so die Behauptung der EZB.
Zum Zweck des Kaufs dieser Staatsanleihen hat die EZB eigene Programme aufgelegt, wie z.B. den PSPP-Beschluss für das PSPP-Programm.
Die Kaufprogramme von Staatsanleihen durch die EZB
Der PSPP-Beschluss führte zu einem der Wertpapierkaufprogramme des Eurosystems, dem PSPP-Programm.
Im März 2015 begann die EZB mit einem groß angelegten Kauf europäischer Staatsanleihen (public sector purchase programme, PSPP). Zu diesem Zweck hat der EZB-Rat, in dem auch Deutschland einen Sitz hat, am 4. März 2015 den PSPP-Beschluss gefasst, mit der Bezeichnung (EU) 2015/774 sowie die hierauf folgenden Beschlüsse (EU) 2015/2101, (EU) 2015/2464, (EU) 2016/702 und (EU) 2017/100.Im Gegensatz zum SPP-Programm von 2010 bis 2012 kaufen die nationalen Notenbanken beim PSPP nur noch Anleihen des eigenen Staates, um Bedenken wegen unerlaubter monetärer Staatsfinanzierung auszuräumen. Zudem wurde ein fester Aufteilungsschlüssel für die einzelnen Euro-Länder eingeführt, der sich nach deren Anteil am Kapital der EZB richtet. Demnach entfällt das größte Volumen auf deutsche Anleihen, das zweitgrößte auf französische, das drittgrößte auf italienische usw. Der Anteil des Eurosystems an der Gesamtmenge einzelner Wertpapieren wurde auf 25 Prozent begrenzt (sogenanntes „ISIN-Limit“) und der Anteil an den Schulden eines Staates auf 33 Prozent. Im September 2015 erhöhte die EZB das ISIN-Limit von 25 auf 33 Prozent. Die Rendite der gekauften Anleihen muss oberhalb des Einlagezinssatzes der EZB liegen. Bis Anfang September 2016 wurden im Rahmen dieses Programms bereits Wertpapiere im Wert von rund 1000 Milliarden Euro erworben. Bis Ende 2018 waren es dann Wertpapiere im Wert von über 2600 Milliarden Euro. Die Pressemitteilung des Verfassungsgerichts spricht selbst von „über“ 2000 Milliarden Euro. Das Verfassungsgericht wird hierzu feststellen:
Daß der Europäische Gerichtshof in einem vorangegangenen Urteil in dieser Frage wohl schlampig gearbeitet haben könnte, wird von BVerfG ebenfalls hervorgehoben:
Wirtschaftspolitische Auswirkungen der Kaufprogramme von Staatsanleihen durch die EZB
Diese Auswirkungen fasst das Bundesverfassungsgericht in einer Pressemitteilung wie folgt zusammen:
Die Argumente der Kläger
Die Kläger bauten ihre Argumente auf den „Nebeneffekt“, den dieser Ankauf der Staatsanleihen durch die EZB mit sich bringt: Weil alle Marktteilnehmer wissen, daß die EZB Staatsanleihen am Ende aufkauft, haben die Nationalstaaten keine Anreize, ihre schuklden zu begrenzen und verschulden sich also stark.
Das sei bildlich betrachtet etwa so, als ob man als Familienhaushalt eines Staats, der an das Mittelmeer grenzt, einkaufen gehen will und sich vorher – weil man z.B. pleite ist – bei seiner Hausbank Geld vom Dispo dazu holen muss und hinter der Hausbank, bei der das Dispo geführt wird, eine Großbank steht, die der Hausbank sagt: „Die Hausbank darf das der Familie unbegrenzt erweitern, denn die Großbank haftet, wenn es schief gehen sollte“. Um bei diesem Bild zu bleiben gehört die Großbank zu ca. 25% dem deutschen Steuerzahler. So absurd diese Vorstellung ist, daß dies in einem Verhältnis zwischen Endkunde und Bank der Fall ist, in der EU wurde ziemlich genau dieses Modell aufgebaut, mit der EZB als „Großbank“ und den nationalen Notenbanken als „Hausbank“ und dem jeweiligen Nationalstaat als „Familienhaushalt“, der sich Geld statt von „Dispo“ eben durch „Staatsanleihen“ besorgt.
Die Käufer dieser Staatsanleihen wissen also, daß sie sie Staatsanleihen immer an die EZB weiterverkaufen können und daß sie daher kein Risiko beim Kauf dieser Staatsanleihen eingehen. Logisch-notwendig sinkt der Zins, der ja im Kern nichts Anderes ist, als eine Messgröße für ein Risiko. Je höher das Risiko ist, einen umso höheren Zins muss jemand anbieten, damit er ein Geschäft machen kann und umgekehrt.
In Folge dieser Politik der EZB gleicht sich der Zins für Staatsanleihen aus z.B. Italien sehr stark dem Zins aus z.B. Deutschland an und spiegelt damit dem Käufer vor, daß Italien ein fast ebenso zuverlässiger Schuldner sei, wie Deutschland. Dies läßt wiederum die Nachfrage an diesen Staatsanleihen steigen, da sie ja ein „sicheres“ Geschäft sind. Hierdurch bekommen wirtschaftsschwache Länder viel mehr Staatsanleihen im Markt unter, als es ihnen ohne PSPP-Programm möglich wäre.
Die wirtschaftspolitische Wirkung liegt hierbei auf der Hand:
Die Kläger argumentieren nun, daß dieser „Nebeneffekt“; der ggf. sogar der Haupteffekt dieses Programms war, zu einer Marktverzerrung führt, da wirtschaftlich schwächere Staaten sich zu viel zu günstigen Konditionen und in viel größerem Umfang Geld am Finanzmarkt leihen können, als es ihnen ohne PSPP-Programm möglich wäre.
Hierdurch wirkt das PSPP-Programm als Programm zur Staatsfinanzierung. Der Vertrag von Maastricht verbietet jedoch eine derartige Staatsfinanzierung als monetäre Haushaltsfinanzierung von Mitgliedstaaten durch die EZB, beispielsweise durch den Kauf von Schuldtiteln direkt bei den Staaten.
Weil die EZB damit etwas tut, was ihr gemäß Vertrag von Maastricht verboten ist, überschreitet die EZB ihr Mandat, weil sie gezielt Konjunkturpolitik durch Staatsfinanzierung betreibt.
Die Kläger argumentieren außerdem, dass über die deutsche Bundesbank, die die größten Anteilseignerin der EZB ist, die Risiken dieser durch die ausgegebenen Staatsanleihen aufgenommenen neuen Schulden der anderen EU-Mitgliedstaaten auf die deutsche Steuerzahler abgewälzt werden.
Die Verantwortlichen
In dieser Zeit haben folgende Spitzenpolitiker in den Verfassungsorganen in Deutschland Verantwortung getragen:
- Angela Merkel als Kanzlerin,
- 2012-2017 Herr Gauck und ab 2017 Herr Steinmeier als Bundespräsident
- Als Vorsitzende des Bundesrats
- November 2014 bis 31. Oktober 2015 Volker Bouffier (CDU, Jurist)
- November 2015 bis 31. Oktober 2016 Stanislaw Tillich (CDU, Dipl.-Ing.)
- November 2016 bis 31. Oktober 2017 Malu Dreyer (SPD, Juristin)
- November 2017 bis 31. Oktober 2018 Michael Müller (SPD, Drucker)
- November 2018 bis 31. Oktober 2019 Daniel Günther (CDU, Politikwissenschaftler)
- seit 1. November 2019 Dr. Dietmar Woidke (CDU, Landwirtschaftswissenschaftler)
Aus dem Urteil
Damit hat der Europäische Gerichtshof selbst die Grenzen seiner Zuständigkeit definiert gehabt und damit indirekt den Beginn der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts.
Die Verhandlung fand bereits im Juli 2019 statt. Fast ein Jahr später folgte dann auch das Urteil. Im Kern behandelte das Bundesverfassungsgericht dabei die Frage, ob sich die EZB mit dem PSPP-Programm noch in dem ihr durch die Europäischen Verträge zugestandenen Kompetenzrahmen bewegt, oder ob sie diesen Kompetenzrahmen durch das PSPP-Programm und die im Rahmen dieses Programms durchgeführten Käufe von Staatsanleihen überschritten hat.
Das Verfassungsgericht schrieb nach der Anhörung ein Urteil, in welchem es an alle Verantwortlichen in den Verfassungsorganen heftige Ohrfeigen verteilte. Im Kern argumentierte das BVrfG, daß die Verfassungsorgane der Bundesrepublik durch eine von ihnen betriebenen Politik des Wegschauens, es der EZB erlauben, Kompetenzen zu leben, die ihr gar nicht zustehe, sondern unveräußerliche Kompetenzen des Nationalstaats Bundesrepublik sind:
Mit anderen Worten: Das Verfassungsgericht hat erkannt, daß die deutschen Verfassungsorgane es allesamt zulassen, daß die EZB Aufgaben wahrnimmt, die Kernaufgaben des Nationalstaats Bundesrepublik und der durch die Bevölkerung dazu bestellten und demokratisch legitimierten Regierungsorgane sind. Oder noch knapper ausgedrückt: die deutschen Verfassungsorgane haben es allesamt zugelassen, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik in diesen Punkten durch eine fremde, demokratisch nicht legitimierte Macht regiert wurden.
Doch das war noch lange nicht alles:
Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht kündigt mit diesen Worten an, die anderen Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und gegebenenfalls den Bundesrat daraufhin zu kontrollieren, daß diese derartige Kompetenzüberschreitungen der EZB und die damit verbundenen Eingriffe einer demokratisch nicht legitimierten fremden Kraft in die Grundrechte der Bürger in Zukunft aktiv bekämpfen, was sie bisher offensichtlich nicht getan haben.
Im Falle eines solchen Übergriffs haben die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und gegebenenfalls der Bundesrat die Aufgabe die Grundrechte der Bürger aktiv zu beschützen:
Diese, im Urteil des BVerfG ab Randnummer 101 nachlesbare Bankrotterklärung aller Verfassungsorgane dieser Republik durch das Bundesverfassungsgericht wurde – aus welchen Gründen auch immer- bisher durch keines der „Qualitätsmedien“ auch nur ansatzweise thematisiert.
Reaktionen
Bis dato hatte sich die EZB selbst die Regel auferlegt, nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Staates zu kaufen. Damit wollte sie dem Vorwurf der Staatsfinanzierung entgegentreten. Eine direkte Staatsfinanzierung konnte auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nicht erkennen. Die EZB hat aber nun angekündigt, diese Anleihe-Kaufgrenze für das neue Programm zu kippen.
Die Ein-Drittel-Grenze der Staatsanleihen war aber einer der zentralen Punkte, warum der EuGH zu dem Schluss gekommen ist, dass das Vorgehen der EZB verhältnismäßig sei. Da diese Grenze bei dem neuen Programm fehlt, haben bereits einige Experten juristische Bedenken auch bei diesem neuen Programm geäußert.