WASHINGTON – Die Bookings-Stiftung analysiert die Wahlergebnisse aus der Sicht internationaler „Philantropen“, bzw. genauer gesagt: „Olegarchen“
Am 27. September veranstaltete das Center on the United States and Europe (CUSE) in Brookings im Rahmen der Brookings – Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative (BBTI) eine Experten-Podiumsdiskussion, um die Ergebnisse der Bundestagswahl in Deutschland zu analysieren und ihre Auswirkungen auf die deutsche Politik zu diskutieren und Politik. Moderiert wurde die Veranstaltung durch
- Rieke Havertz, US-Korrespondentin von ZEIT ONLINE,
Teilnehmer waren:
- Isabelle Borucki, Interimsprofessorin an der Universität Siegen;
- Yascha Mounk, außerordentliche Professorin an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies;
- Daniela Schwarzer, Geschäftsführerin für Europa und Eurasien bei den Open Society Foundations; und
- Constanze Stelzenmüller, CUSE Senior Fellow und Fritz-Stern-Lehrstuhl für Deutschland und transatlantische Beziehungen bei Brookings.
Das Wahlergebnis
Havertz begann damit, das Gremium zu bitten, die ihrer Meinung nach größte Überraschung oder Aufregung bei den Wahlen vom 26. September mitzuteilen. Borucki merkte an, wie knapp die Ergebnisse der beiden Spitzenparteien beieinander lagen – mit der SPD von Olaf Scholz mit 25,7 Prozent und damit nur knapp vor der Christlich Demokratischen Union (CDU) von Armin Laschet, die 24,1 Prozent erhielt. Diese Zahlen, sagte sie, markierten
„den Beginn einer neuen Ära der Parteiensysteme und Parteipolitik“.
Für Mounk kamen zwei allgemeine Entwicklungen unerwartet, obwohl sich diese bei den jüngsten Umfragen „keine größeren Andeutungen“ ergaben:
- die Erwartung, dass die SPD wahrscheinlich das Kanzleramt gewinnen würde, und
- die Tatsache, dass die Unterstützung für die aus seine Sicht „rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD )“ zurückgehen würde.
Schwarzer stimmte dem zu und fügte hinzu, dass die im Vergleich zu 2017 relativ niedrige Wahlbeteiligung radikaler Parteien – sowohl für die AfD als auch für die Linkspartei – für sie eine positive Überraschung sei. Stelzenmüller wies aber auch auf die immer noch starke Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung hin.
Koalitionsverhandlungen
Das Gespräch verlagerte sich dann auf die Koalitionsverhandlungen, den nächsten Schritt zur Regierungsbildung. Besonders hervorzuheben, so die Diskussionsteilnehmer, sei die Macht, die Grüne und Freie Demokraten (FDP) dabei innehaben, wobei die beiden wahrscheinlichsten Koalitionen aus Grünen, FDP und SPD (eine sogenannte Ampelkoalition, nach den Farben der Parteien benannt) unter Bundeskanzler Scholz oder Grüne, FDP und CDU (eine „Jamaika“-Koalition) unter Bundeskanzler Laschet seien.
Während Stelzenmüller Beweggründe für die beiden kleineren Parteien skizzierte, die Option mit der CDU zu verfolgen, stimmte sie Mounk letztendlich zu, dass die Christdemokraten gut daran täten, in die Opposition zu gehen,
„um sich zu erneuern“.
Wie er später feststellte,
„hat die CDU kein Mandat“ und „Armin Laschets Leistung war zu schwach“.
Aber nicht nur Parteichefs würden die Koalitionsverhandlungen diktieren. Auch die Bundestagsabgeordneten und die Wählerschaft jeder Partei würden eine zentrale Rolle spielen. Borucki betonte die Unzufriedenheit bestimmter Parteibasen mit der Parteiführung.
Auswirkungen auf die Klimapolitik
Havertz ging als nächstes auf die mögliche Klima- und Außenpolitik der nächsten Regierung ein und fragte, warum es den Grünen trotz hoher Ambitionen und der ständig wachsenden Bedrohung durch den Klimawandel nicht gelungen sei, mehr Anklang bei den Wählern zu finden. Stelzenmüller und Borucki wiesen darauf hin, dass andere Parteien die Bedeutung von klimabasierten Lösungen hervorhoben, die sozial tragfähig (SPD) oder mit Innovation und Technologie (FDP) verbunden sind. Solche Lösungen, so Mounk, vermeiden den Hinweis auf das Ausmaß des Leidens, zu dem der Klimawandel unweigerlich führen wird, ein prominentes Gesprächsthema der Grünen.
Außenpolitisch verwies Schwarzer auf die dringende Notwendigkeit einer klaren außen- und sicherheitspolitischen Positionierung Berlins vor der deutschen G-7-Präsidentschaft und den französischen Präsidentschaftswahlen 2022 sowie nach dem US-Abzug aus Afghanistan und AUKUS-Angebot.
Fragen aus dem Publikum griffen das Thema Geopolitik auf und erkundigten sich nach den Auswirkungen der Wahlen auf die deutsch-chinesischen Beziehungen. Schwarzer sagte, der Wandel werde nicht schnell gehen, aber Deutschland verfüge jetzt über viel bessere Mittel zur Risikobewertung. Sie fügte hinzu, dass mit einer Ampelkoalition eine stärkere Linie in Bezug auf die Menschenrechte verfolgt werden könnte. Schließlich würde unabhängig von der Zusammensetzung der neuen Regierung Chinas Einfluss in der direkten Nachbarschaft der EU in Deutschland wie in Europa stärker auf den Prüfstand gestellt.
Abschließend bat Havertz die Podiumsteilnehmer, die zukünftige Regierungskoalition Deutschlands vorherzusagen. Alle vier einigten sich auf eine Ampelregierung mit Olaf Scholz an der Spitze. Was bedeutet das für Angela Merkel? Eine internationale Position oder Zukunft in der Politik ist laut Stelzenmüller eher unwahrscheinlich – stattdessen könnte die Sehnsucht der Kanzlerin nach „Spaziergängen und Pflaumenkuchen“ endlich Wirklichkeit werden.
Antworten