FRANZ BERGMÜLLER – Franz Bergmüller spricht zur zweite Lesung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion betr. eines Bayerisches Gesetzes zur Gewährleistung von Tariftreue und Mindestlohn bei öffentlichen Auftragsvergaben (Bayerisches Vergabegesetz – BayVergG) und zur Einführung eines Bayerischen Mindestlohns (Bayerisches Mindestlohngesetz – BayMinLohnG)
Gemäß Drucksache 18/108 vom 18.1.2919 lautet der Gesetzentwurf:
A) Problem
Auch im reichen Bayern profitieren längst nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der guten wirtschaftlichen Lage. So zeigen Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2018, dass knapp 600.000 Vollzeitbeschäftigte im Freistaat im Niedriglohnsektor anzusiedeln sind. Ein entscheidender Grund hierfür ist die seit Jahren sinkende Tarifbindung. Wie der DGB Bayern und das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ebenfalls im Jahr 2018 im Rahmen einer umfangreichen empirischen Analyse darlegen konnten, bildet Bayern aktuell (Stand 2016) mit einer Tarifbindung von etwa 53 Prozent der Beschäftigten das Schlusslicht der westdeutschen Bundesländer. Zudem ist die Tarifbindung seit Jahren rückläufig. In der Mehrzahl der westdeutschen Bundesländer werden hingegen nach wie vor deutlich mehr Beschäftigte – nämlich etwa 60 Prozent – durch Tarifverträge erfasst. Die sinkende Tarifbindung im Freistaat Bayern bestätigt auch eine Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) im Frühjahr 2017 veröffentlichte. Demnach sei die direkte Tarifbindung in den Jahren 2005 bis 2015 „sukzessive zurückgegangen“. In der Untersuchung heißt es: „Unterlagen im Jahr 2005 noch 44 Prozent der bayerischen Betriebe einem Branchen-, Haus oder Firmentarifvertrag, sank der Anteil der Tarifbindung bis zum Jahr 2015 auf 26 Prozent.“ Auch der Vierte Bericht der Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern (2017) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. So war im Jahr 2001 noch jeder zweite Betrieb tarifgebunden, bis zum 2013 sank dieser Anteil jedoch auf unter 30 Prozent.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) führt den Rückgang der Tarifbindung auf „die fehlende Verbandsmitgliedschaft in den Arbeitgeberverbänden, Flucht aus der Tarifvertragsbindung, um Kostenvorteile zu erlangen […], sowie Umstrukturierungen als Mittel der Tarifflucht oder zur Erschwerung gewerkschaftlicher Organisation durch immer kleinere Betriebseinheiten“ zurück (vgl. DGB: Positionen zur Stärkung der Tarifbindung, 28. Februar 2017). Die Folgen sinkender Tarifbindung für die Beschäftigten sind oft fatal: So arbeiten Beschäftigte in nicht-tarifgebundenen Betrieben durchschnittlich länger, verdienen weniger und werden häufiger gekündigt. Zudem bilden nicht-tarifgebundene Betriebe weniger Fachkräfte aus und übernehmen Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung seltener. Wo Tarifverträge gelten, sind folglich nicht nur Arbeitsbedingungen und Löhne deutlich besser – auch die Zufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und somit die Bindung an ihren Arbeitgeber ist erheblich höher. Umgekehrt wird das Verfassungsziel des Freistaates Bayern, gleichwertige Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnisse herzustellen, angesichts immer weiter sinkender
Tarifbindung geradezu konterkariert. Der Freistaat steht daher in der Pflicht, seine landespolitischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um faire Löhne für alle in Bayern beschäftigten Menschen sicherzustellen. Zwar argumentieren die Staatsregierung sowie Teile der Wirtschaft bislang, dass der Anteil von Betrieben, die sich – obgleich nicht tarifgebunden – nach eigenen Angaben an Tarifverträgen orientieren, in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen sei. Doch wird dabei übersehen, dass nur mit einer tatsächlichen Tarifbindung verlässlich und vollumfänglich garantiert werden kann, dass beispielsweise bei öffentlichen Auftragsvergaben faire und transparente Arbeits- und Entgeltbedingungen vorherrschen
sowie ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. Dies ist derzeit bei weitem nicht gewährleistet. Immer wieder kommen Fälle ans Licht, die offenbaren, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Beispiel auf dem Bau, in der Gebäudereinigung oder in der Paketzustellung tätig sind, oft nur einen Bruchteil des vereinbarten Lohns erhalten. Auch kommt es zu unbezahlter Mehrarbeit, und zwar nicht nur bei privaten, sondern auch bei öffentlichen Aufträgen. Trotz dieser Missstände hat Bayern bislang noch kein Landesvergabegesetz erlassen
– als einziges aller 16 Bundesländer. Zudem existiert nur in Bayern und Sachsen kein Tariftreuegesetz. Einen entsprechenden Vorstoß der SPD-Landtagsfraktion für ein Bayerisches Tariftreue- und Vergabegesetz hatte die damalige CSU-Mehrheitsfraktion zuletzt im Juli 2018 abgelehnt.
Zur Unterstreichung der staatlichen Vorbildfunktion verfügen einige Landesvergabegesetze über Regelungen zu vergabespezifischen Mindestlöhnen. Darüber hinaus existiert bspw. in Berlin ein eigenes Landesmindestlohngesetz, welches das Land verpflichtet, überall dort, wo es finanziell beteiligt ist oder Einwirkungsmöglichkeiten hat (etwa im Landesdienst, in Beteiligungsunternehmen, bei Zuwendungsempfängern oder bei Maßnahmen öffentlich geförderter Beschäftigung), darauf hinzuwirken, dass eine Lohnuntergrenze eingehalten wird, die deutlich über dem Bundesmindestlohn liegt. Ein solcher Landesmindestlohn steht somit nicht in Konkurrenz zum Bundesmindestlohn oder zu Branchenmindestlöhnen, sondern ergänzt diese.
Nicht zuletzt angesichts hoher Lebenshaltungskosten gerade in den Ballungsgebieten erscheint es geboten, dass auch der Freistaat Bayern im Rahmen seines Einflussbereiches tätig wird, um auskömmliche Löhne garantieren zu können. Die bislang vorliegenden empirischen Analysen zum Bundesmindestlohn haben die grundsätzlich positiven Effekte dieses Instruments bestätigt. Insbesondere profitieren vom Mindestlohn Betroffene von einem deutlichen Lohnzuwachs. Auch ist die Beschäftigung in Bayern und Deutschland trotz gegenteiliger Unkenrufe (insbesondere von Seiten der Wirtschaft) keineswegs gesunken. Da der Bundesmindestlohn allerdings für viele Beschäftigte noch nicht existenzsichernd ist, braucht es weitere Anpassungen.
B) Lösung:
In Bayern wird zum einen ein Gesetz zur Gewährleistung von Tariftreue und Mindestlohn bei öffentlichen Auftragsvergaben (Bayerisches Vergabegesetz – BayVergG) in Kraft gesetzt, zum anderen ein Gesetz zur Einführung eines Bayerischen Mindestlohns (Bayerisches Mindestlohngesetz – BayMinLohnG).
1. Mit dem Bayerischen Vergabegesetz werden Regelungen zur Auftragsvergabe des Freistaates, der Gemeinden und der Gemeindeverbände und über die bei deröffentlichen Auftragsvergabe zu beachtenden Grundsätze getroffen.
Das Gesetz wirkt somit Verzerrungen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge entgegen, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen, und mildert Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme. Es ermöglicht demgemäß einen fairen Wettbewerb und stärkt den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zu diesem Zweck bestimmt es, dass öffentliche Auftraggeber öffentliche Aufträge nach Maßgabe dieses Gesetzes nur an Unternehmen vergeben dürfen, die ihren Beschäftigten das in diesem Gesetz festgesetzte Mindestentgelt bezahlen und sich tariftreu verhalten.
Das Gesetz sieht deshalb folgende Regelungen vor:
─ Verpflichtung des Unternehmens zur Abgabe einer Tariftreueerklärung für Branchen im Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG),
─ Verpflichtung des Unternehmens zur Abgabe einer Tariftreueerklärung wenn öffentlicher Personennahverkehr,
─ Verpflichtung des Unternehmens zur Abgabe einer Erklärung, mindestens einen vergabespezifischen Mindestlohn zu zahlen, der der Entgeltgruppe 1, Stufe 6 im Tarifvertrag des öffentlichen Diensts der Länder (TV-L) entspricht (mindestens 11,72 Euro je Zeitstunde). Um Tariftreue und Mindestlohn bei den unter das Gesetz fallenden Auftragsvergaben zu gewährleisten, werden entsprechende Regelungen zu Nachweispflichten, Kontrollen und Sanktionierung von Verstößen getroffen. Für die Auftragsausführung können zudem bei allen Aufträgen zusätzliche Anforderungen an Unternehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem konkreten Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben.
2. Das Bayerische Mindestlohngesetz definiert die Einführung eines Landesmindestlohns für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach den im Gesetz genannten Maßgaben.
So wie der vergabespezifische Mindestlohn wird auch der Landesmindestlohn so festgelegt, dass er der Entgeltgruppe 1, Stufe 6 (Ungelernte) im Tarifvertrag des öffentlichen Diensts der Länder (TV-L) entspricht. Anknüpfend an die Entgelttabelle TV-L 2018 soll der Bayerische Mindestlohn zunächst 11,72 Euro pro Zeitstunde betragen.
Der Bayerische Mindestlohn soll einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das erfolgreiche Instrument des Mindestlohns im Rahmen der landespolitischen Möglichkeiten so auszugestalten, dass es möglichst existenzsichernd wirkt.
Damit werden insbesondere Art. 168 Abs. 1 Satz 1 („Jede ehrliche Arbeit hat den gleichen sittlichen Wert und Anspruch auf angemessenes Entgelt.“) und Art. 169 Abs. 1 („Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne festgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den jeweiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie ermöglichen.“) der Bayerischen Verfassung in ein Landesgesetz übertragen.
C) Alternativen: Keine
D) Kosten
1. Kosten für Staat und Kommunen Auswirkungen auf die Angebotspreise sind nur dann zu erwarten, wenn die Bieter die Kostenvorteile auf Grund niedrigerer Löhne oder sehr günstiger Beschaffungspreise bisher tatsächlich in ihren Angebotspreisen weitergegeben haben und nicht zur Erhöhung ihrer Gewinnspanne oder zum Ausgleich bei anderen Kostenfaktoren genutzt haben.
2. Kosten für Wirtschaft und Bürger Kostenauswirkungen auf Privathaushalte sind allenfalls zu erwarten, wenn Staat und Kommunen eine eventuelle Verteuerung der Angebotspreise wiederum an ihre Endverbraucher weitergeben. Andererseits werden die Regelungen zu einer Erhöhung der Einkommen bei Privathaushalten führen. Die Wirtschaftsunternehmen, die aufgrund des Bayerischen Vergabegesetzes höhere Arbeitsentgelte für die Dauer des öffentlichen Auftrags zahlen müssen, können dies in ihren Kalkulationen berücksichtigen.