Bundesverfassungsgericht stellt fest: Innenminister Seehofer (CSU) missbrauchte sein Ministeramt zu parteipolitischen Zwecken

KARLSRUHE – Das Bundesverfassungsgericht hat als Recht erkannt, daß der  Bundesinnenminister Seehofer rechtswidrig Bundesmittel und damit letztendlich Steuermittel dazu missbraucht hat, die AfD als politischen Konkurrenten zu bekämpfen.

 

Bundesverfassungsgericht weist 2018 Bildungsministerin Wanka (CDU) wegen Missbrauchs ihres Ministeramts zu parteipolitischen Zwecken zurecht

Die Union hätte eigentlich gewarnt sein müssen. Bereits 2018 hat das Bundesverfassungsgericht das erste Mal in einem ähnlich gelagerten Fall als Recht erkannt, daß die damalige CDU-Ministerin Wanka ihr Ministeramt dazu missbraucht hatte, rechtswidrig zum Kampf gegen die AfD aufzurufen. Bildungsministerin Johanna Wanka hatte 2017 eine Pressemitteilung auch auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlicht gehabt, in der Wanka dazu aufrief, der AfD die „Rote Karte“ zu zeigen. Außerdem behauptete sie, daß die AfD die Radikalisierung der Gesellschaft befördern würde.

Dadurch, so die Verfassungsrichter in Karlsruhe, habe Wanka die AfD in ihrer Chancengleichheit verletzt und „den Grundsatz der Neutralität staatlicher Organe im politischen Wettbewerb mißachtet“.

 

Bundesinnenminister Seehofer (CSU) wiederholt den Fehler Wankas

Im Kern wirft das Bundesverfassungsgericht dem Innenminister den Missbrauch seines Ministeramts zu parteipolitischen Zwecken vor.

Statt einer Pressemitteilung wie bei Frau Wanka,  handelte es sich beim Innenminister um ein Interview mit der dpa, das nirgendwo erschien, außer auf der Webseite des Bundesinnenministeriums.

Das inzwischen von der Homepage entfernte Interview enthielt u.a. folgende Passage:

Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zur großen Koalition (GroKo)

dpa

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de 

In dem Interview äußert sich der Antragsgegner unter anderem wie folgt:

Wir haben ein gespaltenes Land, ein polarisiertes Land, steht alles im Koalitionsvertrag. Wir haben das Aufblühen der AfD. Und die Volksparteien, die klassischen Volksparteien, verlieren immer mehr an Zustimmung.

[…]

Frage: Was Sie sagen, richtet sich hauptsächlich gegen die AfD.

Antwort: Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben Sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend.

[…]

Frage: Hat die AfD davon profitiert, dass sich die Bundestagsparteien 2015 in der Flüchtlingsfrage weitgehend einig waren?

Antwort: Ich denke schon. Und jetzt stellt sich zunehmend die Frage, wie man der AfD stärker entgegentritt. Der Frontalangriff auf den Bundespräsidenten im Bundestag war einfach schäbig.

Frage: Hat sich die AfD aus ihrer Sicht seit 2015 verändert? Ist sie, wie viele sagen, radikaler geworden?

Antwort: Ja. Die sind auf der Welle, auf der sie schwimmen, einfach übermütig geworden und haben auch dadurch die Maske fallen lassen. So ist es auch leichter möglich, sie zu stellen, als wenn sie den Biedermann spielt.

Frage: War das in der Ära von AfD-Gründer Bernd Lucke noch anders? Wären Sie mit Lucke zum Beispiel auch ein Bier trinken gegangen?

Antwort: Ja, mit dem Lucke sowieso. Mich erschreckt an der AfD dieses kollektive Ausmaß an Emotionalität, diese Wutausbrüche – selbst bei Geschäftsordnungsdebatten. Als ginge es jetzt um die Auflösung der Bundesrepublik Deutschland. So kann man nicht miteinander umgehen, auch dann nicht, wenn man in der Opposition ist.

Am Ende des Interviews findet sich noch der Hinweis:

© Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2018

 

Amtsmissbrauch durch den von der CSU gestellten Bundesinnenminister

Der Innenminister meinte, er dürfe dies so äußern und veröffentlichen. Das Bundesverfassungsgericht war da aber in seiner Entscheidung 2 BvE 1/19 ganz anderer Meinung und vertrat im Kern die Auffassung, daß Horst Seehofer auf einem z.B. CSU-Parteitag, auf den er nicht als Minister kommt und redet, sondern als CSU-Funktionär derartige Äußerungen wohl tätigen und veröffentlichen dürfte. Anders ist dies jedoch, wenn er als Minister auftritt und insbesondere, wenn er Ressourcen des Ministeriums nutzt.  Schon weil Horst Seehofer das Interview auf der Ministeriumswebseite der Öffentlichkeit zugänglich machte, hat die AfD Recht bekommen:

Der Antragsteller (Minister Seehofer CSU) hat durch die Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat die Antragstellerin (AfD) in ihrem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. RdNr. 42

Wie anders soll man dies lesen, als daß der Innenminister Horst Seehofer (CSU) sein Amt dazu missbraucht hat, Parteipolitik zu betreiben?

 

Das Ministeramt darf nicht zur Beeinflussung von Wahlen und Abstimmungen missbraucht werden

Wo die Grenzen zwischen einer Äußerung als Minister und als Parteimitglied liegen, ist in jedem Fall individuell zu bestimmen, so die Richter.

Interessant ist aber, wo das BVerfG mit seiner Argumentation ansetzt, nämlich bei der Sicherung freier Wahlen, die von unzulässigen Eingriffen frei zu halten sind

a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vermögen Wahlen und Abstimmungen aber nur zu vermitteln, wenn sie frei sind. Dies setzt nicht nur voraus, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, sondern auch, dass die Wählerinnen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (RdNr. 45).

Das Volk wählt gemäß BVerfG politische Parteien, die dann das Volk im Parlament vertreten und im Parlament muss die Meinungs- und Willensbildung frei sein.

Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirken… Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten. Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstoßen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen  (RdNr. 47).

Das gilt aber nicht nur in Wahlkampfzeiten:

Nicht nur während des Wahlkampfes, sondern auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität. Denn der Prozess der politischen Willensbildung ist nicht auf den Wahlkampf beschränkt, sondern findet fortlaufend statt. Zwar mag der politische Wettbewerb zwischen den Parteien im Wahlkampf mit erhöhter Intensität ausgetragen werden; er herrscht aber auch außerhalb von Wahlkämpfen und wirkt auf die Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler zurück (RdNr. 48).

 

Die Grenzen der Befugnis als Minister

Den Amtsträgern im Staat ist es daher untersagt, die ihnen vom Staat durch das Amt zur Verfügung gestellten Ressourcen für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen:

Es ist der Bundesregierung, auch wenn sie von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (RdNr. 51).

Dieses Verbot kann auch nicht dadurch umgangen werden, daß Amtsträger behaupten, eine ihnen zustehende „Öffentlichkeitsarbeit“ zu betreiben.

Demgemäß endet die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt. Daher ist die über die Wahrnehmung der Amtsgeschäfte hinausgehende Präsentation einzelner Regierungsmitglieder „als Person“ grundsätzlich kein tauglicher Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lässt es nicht zu, dass die Bundesregierung die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nutzt, um Regierungsparteien zu unterstützen oder Oppositionsparteien zu bekämpfen (RdNr. 51).

Auch bei Angriffen aus der Opposition ist die zur Neutralität verpflichtete Regierung nicht befugt selbst Parteipolitik zu betreiben, sondern in der Zurückweisung der Kritik aus Parteien an Sachlichkeit und Bezug auf den Inhalt der Vorwürfe verpflichtet

Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung zwar berechtigt, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen; dabei hat sie aber sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren. Wie jedes Staatshandeln unterliegt auch die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dem Sachlichkeitsgebot. Das schließt die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus. Darüber hinausgehende, mit der Kritik am Regierungshandeln in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehende, verfälschende oder herabsetzende Äußerungen sind demgegenüber zu unterlassen. Die Bundesregierung hat sich darauf zu beschränken, ihre politischen Entscheidungen zu erläutern und dagegen vorgebrachte Einwände in der Sache aufzuarbeiten. (RdNr. 52).

Das Bundesverfassungsgericht fasst zusammen:

Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liegt daher vor, wenn Regierungsmitglieder sich am politischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen. Demgemäß verstößt eine parteiergreifende Äußerung eines Bundesministers im politischen Meinungskampf gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und verletzt die Integrität des freien und offenen Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amts fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen (RdNr. 56).

 

Diese Äußerungen darf ein Innenminister nicht tätigen

Gemessen an diesem Maßstab kommt das BverfG zu dem Schluss:

Die vom Antragsgegner im Rahmen des dpa-Interviews getätigten Äußerungen in Bezug auf die Antragstellerin überschreiten die inhaltlichen Grenzen des bei Wahrnehmung des Ministeramtes zu beachtenden Neutralitätsgebots (a)…

a) Die angegriffenen Interview-Äußerungen beinhalten negative Qualifizierungen der Antragstellerin (aa) und sind auch nicht lediglich auf die Kritik eines bestimmten Verhaltens der AfD-Bundestagsfraktion beschränkt (bb). Mit diesen Aussagen greift der Antragsgegner vielmehr in einseitig parteiergreifender Weise zulasten der Antragstellerin in den Wettbewerb der politischen Parteien ein (cc). (RdNr. 67f).

Die Feststellung: „Die stellen sich gegen den Staat“ trifft der Antragsgegner als Antwort auf einen die Antragstellerin und nicht nur die AfD-Bundestagsfraktion betreffenden Vorhalt. Sie ist daher auf die Antragstellerin als Ganzes bezogen. Gleiches gilt, soweit der Antragsgegner behauptet, die Antragstellerin sei „übermütig“ geworden und habe „die Maske fallen lassen“. Auch die Kritik des Antragsgegners an dem ihn erschreckenden „kollektiven Ausmaß an Emotionalität“ und den „Wutausbrüchen“ bezieht sich auf die Antragstellerin in Gänze und nicht nur auf Teile derselben. Eine Beschränkung dieser Aussagen auf die AfD-Bundestagsfraktion erfolgt weder ausdrücklich noch ergibt sie sich aus dem Sinnzusammenhang der Äußerungen. (RdNr. 74f).

Auch in Zeiten ohne Wahlkampf darf ein Innenminister derartige Äußerungen nicht tätigen:

Es kann daher dahinstehen, ob – wie die Antragstellerin behauptet – das Interview auf eine Beeinflussung anstehender Landtags- und Bezirkstagswahlen in Bayern und Hessen gerichtet war. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, genügen die Äußerungen des Antragsgegners inhaltlich den Anforderungen nicht, die sich für ein Regierungsmitglied bei der Wahrnehmung seiner Amtsgeschäfte aus dem Neutralitätsgrundsatz ergeben. (RdNr. 78f).

Dies wird ausweislich des Wortlauts des Urteils vom Bayerischen Rundfunk schlichtweg falsch dargestellt, wenn er zu verstehen gibt „das sei in Ordnung„. Falsch, das BVerfG sagt glasklar, daß es nicht in Ordnung sein kann, wenn ein  Minister derartige Äußerungen tätigt.

 

Ein Innenminister darf parteipolitische Äußerungen auch nicht auf Ministeriumswebseiten veröffentlichen

Selbst in dem Fall, wenn der Innenminister Horst Seehofer dies als Parteipolitiker Horst Seehofer (CSU) geäußert hat,  dürfte er zur Veröffentlichung dieser parteipolitischen Stellungnahme  keine Ressourcen des Ministeriums nutzen. Deswegen kommt das BVerfG zum Schluß:

Demgegenüber hat der Antragsgegner durch die Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage des von ihm geführten Ministeriums am 14. September 2018 das Recht der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt (a). Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Antragsgegners gehen fehl (b).