Buchempfehlung Thilo Sarrazin: „Der Staat an seinen Grenzen“

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=wDHzOZEIbHA
BERLIN – Thilo Sarrazin ist einer der profiliertesten politischen Köpfe der Republik, ein Querdenker, der sich nicht scheut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Doch nicht nur das, er steht zu seinen Worten und zur Wahrheit auch noch, wenn er davon Nachteile hat, wie seine Entfernung aus der SPD durch  „linksgewendete“ Parteimitglieder belegt.
Als Fachökonom war er Spitzenbeamter und Politiker, er war verantwortlich für Konzeption und Durchführung der deutschen Währungsunion, arbeitete für die Treuhand und saß im Vorstand der Deutschen Bahn Netz AG. Von 2002 bis 2009 war er Finanzsenator in Berlin, anschließend eineinhalb Jahre Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ (2010) wurde ein Millionenerfolg und löste eine große gesellschaftliche Debatte aus. Bei der DVA erschien zuletzt von ihm „Europa braucht den Euro nicht“.

Der interessierte Leser wird im ersten Drittel des neuen Sarrazin-Buches erfreut sein. Thema ist dort gang bescheiden die „Weltgeschichte der Einwanderung“. Sarrazin selbst nennt es einen „Parforce-Ritt“ durch die Menschheitsgeschichte. Sein Rückblick beginnt in der Wiege des „homo sapiens“ vor 200.000 bis 100.000 Jahren, zeichnet dessen Wanderungen in Afrika nach und endet bei seiner Ankunft in Europa, Asien und Australien bis hinein in die ersten  Hochkulturen in Ägypten und Israel. Über Rom und Athen kommt Sarrazin auf die Germanen zu sprechen. Dezidiert widmet er sich den Arabern und dem islamischen Kalifat. Er scheut sich nicht, deutlich zu machen, dass die ausgeprägteste Form von Sklaverei im islamischen Kulturkreis stattgefunden habe.

Zur Sprache kommen ferner Indien, China, Japan, das Osmanische Reich sowie die deutsche Ostsiedlung. Gegen den historisch korrekten Strich gebürstet ist dann vor allem Sarrazins Darstellung des Kolonialismus und seiner Folgen. Er schreibt: „Nach dem Ende der Kolonialzeit vor 60 Jahren bleibt die Entwicklung in Afrika, insbesondere in Subsahara-Afrika, deutlich hinter anderen ehemaligen Kolonialgebieten zurück.“ An späterer Stelle wird Sarrazin noch deutlicher: „Es hat sich ein ausufernder postkolonialer Diskurs etabliert, der die Opferrolle der ehemaligen Kolonien in den Mittelpunkt stellt, aber z.B. um die koloniale Vergangenheit des Osmanischen Reiches einen großen Bogen macht.“ Das sei eine „Ideologie, die unter Verzicht auf historische Trennschärfe die Vergangenheit zulasten der Europäer moralisieren will.“

Politisch brisant wird es im Buch später, vor allem ab dem „Einschnitt 2015“. Für Deutschland und Europa zieht Sarrazin die Schlussfolgerung: „Eine wirksame quantitative Begrenzung der Einwanderung aus Afrika und dem westlichen Asien ist für Deutschland und Europa eine vitale politische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Für die Legitimation des demokratischen Systems kann sie zu einer Überlebensfrage werden.“ Und diejenigen, die etwa nach Deutschland einwandern wollten, müssten laut Sarrazin auch die Bereitschaft mitbringen, die in Deutschland geltende „Leitkultur“ zu verinnerlichen. Darüber hinaus fordert Sarrazin ein wirksames Grenzregime, eine Beschleunigung der Asylverfahren auf eine Dauer von maximal 30 Tagen, eine konsequente Abschiebepraxis sowie ein Zurück beim Asyl-Artikel 16 des Grundgesetzes hin zum Grundsatz, der bei dessen Einführung galt.

Von der deutschen Entwicklungshilfepolitik erwartet Sarrazin, dass Transferleistungen nur noch erfolgen sollen, wenn die betreffenden Herkunftsländer der „Schutzsuchenden“ bei deren Rückführung und deren Identitätsüberprüfung behilflich sind. Flüchtlinge, die mit Hilfe von Schleppern den Weg über das Mittelmeer wählen, sollen aufgelesen und an ihren Ausgangspunkt zurückgebracht werden – gegebenenfalls unter militärischem Schutz. Militärische Interventionen als Methode zur Bekämpfung von Fluchtursachen sieht Sarrazin allerdings sehr skeptisch: „Bei der Betrachtung aller militärischen Interventionen des Westens in Afrika und dem westlichen Asien über die vergangenen Jahrzehnte hinweg verspüre ich eine tiefe innere Spaltung. Möglicherweise hätte eine strikte Politik der Nicht-Intervention dazu geführt, dass Konflikte schneller ausbrennen und dass sich neue Machtstrukturen schneller etablieren, sodass es vielleicht sogar weniger Blutvergießen gegeben hätte.“

Alles in allem: Die Lektüre aller 480 Seiten von „Sarrazin Nummer 6“ samt der fast 700 Querverweise, Belege, Quellen usw. lohnt. Das Buch ist ein Feuerwerk an Fakten und Argumenten, die jeder braucht, der sich um dieses, das Land spaltende Thema kümmert oder der hier sachgerecht mitdiskutieren will. Hierfür ist das Buch sehr „hilfreich“.