BRÜSSEL – Der von der EU heute herausgegebene Text ist selbsterklärend und sollte jedem eine Warnung sein: „Dank des European Digital Identity Wallet steht Menschen und Unternehmen in Europa ein bequemer, sicherer und interoperabler Identifikationsdienst zur Verfügung… Ziel ist es, dass der digitale Euro vollständig mit dem European Digital Identity Wallet kompatibel ist.“
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Und sie tuen es doch! Am Mittwoch hat die EU ihren „Bericht zum Fortschritt des digitalen Jahrzehnts“ vorgelegt. In ihm will die EU über den digitalen Wandel informieren, den die Europäische Kommission für angeblich notwendig erachtet, um die EU
- „digital souveräner,
- widerstandsfähiger und
- wettbewerbsfähiger“
zu gestalten, womit sie letztendlich Schlagworte des hochumstrittenen World Economic Forum nachplappert.
Der Bericht drängt die EU-Mitgliedstaaten, gemeinschaftlich die digitale Wende Europas voranzutreiben und sich stärker darum zu bemühen, die Ziele des Digital Decade Policy Program (DDPP) zu erreichen.
Ein Kernziel des DDPP ist es, alle zentralen öffentlichen Dienste online verfügbar zu machen und jedem EU-Bürger Online-Zugriff auf seine elektronischen Patientendaten sowie sichere elektronische Identifikationsmittel (eID) zu gewährleisten.
Die Kommission betont, dass viele Mitgliedsstaaten gut positioniert sind, um sowohl öffentliche Dienstleistungen als auch Patientendaten vollständig zu digitalisieren und eine eID für ihre Bürger bereitzustellen.
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Der „Bericht zum Fortschritt des digitalen Jahrzehnts“
Der heute veröffentlichte erste Bericht über den Stand des digitalen Jahrzehnts bietet doch einen umfassenden Überblick über die Fortschritte auf dem Weg zur digitalen Transformation, um angeblich eine
- digital souveränere,
- widerstandsfähigere und
- wettbewerbsfähigere EU
zu schaffen.
Der Bericht umfasst aber auch eine Bewertung der bisherigen Leistung der EU im Hinblick auf die Ziele und Vorgaben Europas für 2030, und gibt damit zu, daß die Digitalisierung, wie sie die EU versteht im Kern nur ein Mittel zum Zweck der Umsetzung der Agenda 2030 ist.
Der Schwerpunkt soll hierbei auf vier Hauptpfeilern liegen:
- digitale Kompetenzen,
- digitale Infrastruktur,
- Digitalisierung von Unternehmen, einschließlich des Einsatzes künstlicher Intelligenz (KI), und
- Digitalisierung öffentlicher Dienste.
Dazu gehört angeblich auch die Überwachung der Europäischen Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen. Diese soll nach Ansicht der EU ihr eigenes Engagement für einen angeblich
- „sicheren und nachhaltigen digitalen Wandel“ ermöglichen und angeblich
- den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Hintergrund
Der im September 2021 vorgeschlagene Weg zur digitalen Dekade beschreibt konkrete Schritte zur Förderung von Innovation und Investitionen in den Bereichen digitale Kompetenzen, digitale Infrastrukturen, Digitalisierung von Unternehmen und öffentliche Dienste. Dies wurde im Dezember 2022 durch die Europäische Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen ergänzt.
Um die Fortschritte bei den digitalen Zielen und Vorgaben zu verfolgen, hat die Kommission den Digital Economy and Society Index (DESI), die jährliche Überwachung der Leistung Europas bei der Digitalisierung, in den Bericht über den Stand des digitalen Jahrzehnts integriert.
Die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC) der Kommission hat im Rahmen ihrer Aktivitäten zur Unterstützung und Gestaltung des digitalen Wandels maßgeblich zu dieser Überwachung beigetragen. Es veröffentlichte drei Berichte mit Methoden, Erkenntnissen und Daten zur Unterstützung der Umsetzung der Ziele für 2030, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene: über eine Methode zur Schätzung der EU-Entwicklungspfade in Richtung der Ziele für 2030, über die Zuordnung von EU-Finanzierungsinstrumenten zu den Zielen der digitalen Dekade und zum internationalen Benchmarking privater Investitionen in verschiedenen Themenbereichen.
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Der erste Jahresbericht
Dieser Bericht 2023 ist der erste einer Reihe von Jahresberichten. Die EU versteht ihn als Aufruf an die Mitgliedstaaten zu gemeinsamem Handeln, um
- die aktuellen Investitionslücken zu schließen,
- die digitale Transformation in Europa zu beschleunigen und
- die Bemühungen zur Verwirklichung der Ziele des Politikprogramms „Digital Decade“ ( DDPP) zu intensivieren.
Dieses DDPP wurde vom Europäischen Parlament und dem Rat angenommen und trat am 9. Januar 2023 in Kraft. Es umfasst ein System der kooperativen Governance zwischen der EU und den nationalen Behörden.
Diese horizontalen Empfehlungen aus dem Bericht 2023 und die länderspezifischen Empfehlungen sollen aus Sicht der EU einen klaren und operativen Weg für die Zukunft darstellen.
Diese angeblichen Empfehlungen sollen aber auch die Grundlage für die Diskussion und Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten darüber bilden, wie die EU ihre Ziele mit allen ihren Mitgliedsstaaten zusammen erreichen will. Zur Erleichterung soll dies durch die Umsetzung großer länderübergreifender Projekte unterstützt werden, darunter auch die neu eingeführten europäischen Konsortien für digitale Infrastruktur (EDICs). In Folge listen wir die aus Sicht der EU „wichtigsten Ergebnisse“ auf, die im Bericht behandelt werden:
Digitalisierung von Unternehmen
Im eingangs erwähnten DDPP setzt die EU drei Planziele, um die Digitalisierung von Unternehmen voranzutreiben:
- Mindestens 75 % der Unternehmen in der EU sollten in ihren Betrieben Cloud-Computing-Dienste, Big Data und/oder künstliche Intelligenz (KI) einführen.
- Mehr als 90 % der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sollten mindestens ein grundlegendes Maß an digitaler Intensität erreichen (Messung der Nutzung verschiedener digitaler Technologien auf Unternehmensebene).
- Verdoppeln Sie die Anzahl der Einhörner (Unternehmen mit einer Bewertung von über 1 Milliarde Euro).
Ohne weitere Investitionen und Anreize deutet der prognostizierte Basisverlauf für die EU jedoch darauf hin, dass bis 2030 nur 66 % der Unternehmen die Cloud, 34 % Big Data und 20 % KI nutzen werden. Darüber hinaus erreichen den neuesten verfügbaren EU-Daten zufolge nur 69 % der KMU in der EU ein grundlegendes Maß an digitaler Intensität, wobei die Fortschritte in den einzelnen Mitgliedstaaten uneinheitlich und unzureichend sind. Um die Akzeptanz der Technologie zu verbessern, sollten die Mitgliedstaaten das Bewusstsein für die Vorteile der Digitalisierung von Unternehmen schärfen und die Europäischen Digital Innovation Hubs (EDIHs) fördern und unterstützen.
Die Zahl der in der EU ansässigen „Einhörner“ (Unternehmen mit über einer Milliarde Umsatz) sei im letzten Jahrzehnt erheblich gestiegen, lobt die EU. Eine Fortsetzung des Trends würde es der EU ermöglichen, ihr Ziel vor 2030 zu erreichen, sei aber in volatilen Märkten kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Darüber hinaus bestünden weiterhin Unterschiede zu anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften: Anfang 2023 gab es in der EU 249 Einhörner, verglichen mit 1.444 in den USA und 330 in China.
Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen
Die DDPP-Ziele sehen außerdem
- eine 100-prozentige Online-Zugänglichkeit wichtiger öffentlicher Dienste und gegebenenfalls die Möglichkeit für Bürger und Unternehmen in der Union vor, online mit öffentlichen Verwaltungen zu interagieren, sowie
- den Online-Zugriff auf ihre elektronischen Gesundheitsakten für 100 % der Unionsbürger und
- den Online-Zugang die elektronische Identifizierung (eID) für 100 % der Unionsbürger zu sichern.
Viele Mitgliedstaaten seien jedoch gut aufgestellt, um die vollständige Digitalisierung öffentlicher Dienste und Gesundheitsakten sowie die Einführung der eID für ihre Bürger zu erreichen. Allerdings sind erhebliche Investitionen erforderlich, um die grenzüberschreitende Verfügbarkeit und Leistung öffentlicher Dienste zu verbessern.
Im folgenden Satz gibt die EU dann – vielleicht erstmals offiziell – zu, daß es eben doch keine Verschwörungstheorie ist, daß die EU plant den digitalen Euro und die digitale Identität zusammenzufassen
Die vollständige Einführung des europäischen digitalen Identitäts-Wallets ist im Gange: Es wird erwartet, dass es bis 2030 fertiggestellt wird und durch den im Juni 2023 vorgeschlagenen Digitalen Euro ergänzt wird.
Digitale Infrastruktur – sichere Konnektivität
Als Planziel hat die EU für 2030 eine Gigabit-Abdeckung für alle und leistungsfähige 5G-Netze in allen besiedelten Gebieten vorgeschrieben.
Derzeit erreichen erreichen die Glasfasernetze, die für die Bereitstellung von Gigabit-Konnektivität von entscheidender Bedeutung sind, laut EU aber nur 56 % der Haushalte, während die 5G-Abdeckung laut EU bei 81 % der Bevölkerung liegt und in ländlichen Gebieten auf mickrige 51 % sinkt. Die EU stellt fest, daß der Einsatz eigenständiger 5G-Netze hinterherhinke und die EU stellt fest, daß die Qualität von 5G ist im Hinblick auf die Erwartungen der Endnutzer und die Anforderungen der Branche immer noch unzureichend sei. 55 % der ländlichen Haushalte verfügen demnach noch immer über kein modernes Netz und 9 % seien noch nicht einmal mit einem Festnetz ausgestattet.
Um eine vollständige Gigabit-Abdeckung in der gesamten EU sowie eine 5G-Abdeckung in allen besiedelten Gebieten sicherzustellen, seien aus Sicht der EU zusätzliche Investitionen von bis zu mindestens 200 Milliarden Euro erforderlich. Die Mitgliedstaaten sollten deswegen ihre „Konnektivitätsdefizite“ ermitteln und nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen, um private Investitionen in Gebieten zu ergänzen, die wirtschaftlich nicht rentabel sind, einschließlich ländlicher und abgelegener Gebiete, und dabei vom investitionsfördernden EU-Rechtsrahmen profitieren.
Halbleiter
Als Planziel hat die EU für 2030 außerdem festgelegt, daß die EU ihren Anteil am Wert der weltweiten Produktion hochmoderner Halbleiter verdoppelt und von derzeit 10 % auf 20 % des Weltmarktanteils wertmäßig ansteigt.
Um dieses Ziel zu erreichen, zielt das europäische Chip-Gesetz, das am 21. September 2023 in Kraft trat, auf die Entwicklung eines angeblich florierenden Halbleiter-Ökosystems und auf widerstandsfähiger Lieferketten ab. Die Mitgliedstaaten sollten nationale Maßnahmen und Investitionen fördern, um die inländischen Chipdesign- und Fertigungskapazitäten weiter zu fördern und die lokalen Kompetenzen in fortschrittlichen Technologien branchenübergreifend zu stärken.
Digitale Fähigkeiten/Kompetenzen
Die EU hat sich außerdem das Planziel gesetzt, die grundlegenden digitalen Kompetenzen von mindestens 80 % der 16- bis 74-Jährigen zu verbessern und bis 2030 20 Millionen IKT-Fachkräfte zu erreichen.
Der erwähnte Bericht zeigt jedoch auch, daß bis 2030 und unter den aktuellen Bedingungen nur 59 % der Bevölkerung mindestens grundlegende digitale Fähigkeiten beherrschen werden und die Zahl der IKT-Fachkräfte 12 Millionen nicht überschreiten darf. Die Mitgliedstaaten müssen aus Sicht der EU daher Investitionen in hochwertige Bildung und Kompetenzen Vorrang einräumen und die Beteiligung von Frauen an MINT-Fächern (Mathematik, Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen) schon in jungen Jahren fördern.
Werte und Prinzipien für die Online-Gesellschaft
Der Bericht behauptet eine Vorreiterrolle der EU bei der Schaffung einer sicheren und menschenzentrierten digitalen Transformation, wie sie in der Europäischen Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen verankert ist. Die EU hat relevante politische und gesetzgeberische Maßnahmen eingeführt, wie den
- Digital Services Act, den
- AI Act, den
- European Media Freedom Act und die
- Mitteilung über virtuelle Welten.
Ein nachhaltiger digitaler Wandel
Der Bericht erwähnt auch die laufenden Bemühungen, den digitalen Wandel umweltfreundlicher zu gestalten. Maßnahmen wie die
- „Right to Repair“-Initiative, die
- „Ökodesign-Kriterien für Mobiltelefone und Tablets“ und
- der „EU-Aktionsplan zur Digitalisierung von Energiesystemen“
werden die Umweltauswirkungen digitaler Technologien verringern. Weitere Investitionen über nationale Wiederherstellungs- und Resilienzpläne oder gemeinsame Investitionen sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um den vollständigen Übergang zu Netto-Null-Digitallösungen voranzutreiben, zusammen mit verbesserten Überwachungsmechanismen zur Messung des ökologischen Fußabdrucks elektronischer Kommunikationsdienste.
Internationale Partnerschaften
Das Programm „Digitale Dekade 2030“ unterstreicht außerdem die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zur Förderung der Werte der EU mit gleichgesinnten Partnern. Durch digitale Partnerschaften mit
- Japan, der
- Republik Korea und
- Singapur sowie durch Handels- und Technologieräte mit den
- Vereinigten Staaten und
- Indien wurden Fortschritte bei der Erreichung dieses Ziels erzielt.
Die EU hat sich außerdem verstärkt für die digitale Transformation der Ukraine eingesetzt und das Land in den Free-Roaming-Raum der EU aufgenommen.
Nächste Schritte
Der Bericht enthält Empfehlungen zu Aktionen, Maßnahmen und Richtlinien in Bereichen, in denen die Fortschritte unzureichend sind. Die Mitgliedstaaten werden in ihren nationalen Fahrplänen, die bis zum 9. Oktober veröffentlicht werden sollen, die Maßnahmen darlegen, die sie zur Erreichung der Ziele und Vorgaben ergreifen wollen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Annahme des Berichts werden die Kommission und die Mitgliedstaaten vorläufige Beobachtungen diskutieren, wobei der Schwerpunkt auf den Empfehlungen der Kommission in ihrem Bericht liegen wird.
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Zusammenfühung der Digitalen Identität und des Digitalen Euro
Die vielleicht spannendste Passage des Überblicks des Berichts ist der Hinwies, eine eID für jeden Bürger der EU bereitgestellt werden soll, die mit dem Elektronischen Euro „kompatibel“ sein soll:
Das ist genau das, wovor alle Kritiker bisher gewarnt haben und was als „Verschwörungstheorie“ abgetan wurde. Ein Blick in den Bericht selbst klärt zu diesem Punkt wie folgt auf:
Dieses Ziel der digitalen Dekade könnte dank einer rechtzeitigen Umsetzung des europäischen digitalen Identitäts-Wallets durch die Mitgliedstaaten erreicht werden. Dank des European Digital Identity Wallet steht Menschen und Unternehmen in Europa ein bequemer, sicherer und interoperabler Identifikationsdienst zur Verfügung. Für Bürger und Unternehmen soll es bei allen Online-Transaktionen sowohl mit öffentlichen Stellen als auch mit privaten Anbietern digitaler Dienste weniger Papierkram und Bürokratie geben. Nach einer Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen im Jahr 2022 wurden im April 2023 vier im Rahmen des Programms „Digitales Europa“ kofinanzierte Pilotprojekte gestartet, um diese Geldbörse in einer Reihe von Alltagssituationen und ihre Integration in nationale eID-Systeme in 26 Mitgliedstaaten sowie Island und Norwegen und der Ukraine zu testen. Die Mitgliedstaaten haben in ihren nationalen Aufbau- und Resilienzplänen bereits Projekte zur Umsetzung des europäischen digitalen Identitäts-Wallets geplant.
Empfohlene Richtlinien, Maßnahmen und Aktionen
Die Mitgliedstaaten werden außerdem aufgefordert, der Kommission eIDAS-Identifizierungssysteme, insbesondere für Unternehmen, zu melden. (Seite 32)
Weitere Informationen findet man hier: