Hans-Werner Sinn beschreibt, was uns ab Herbst erwartet: Die deutsche Industrie ist herzkrank geworden

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=m5XArmJqIjs

MÜNCHEN – Wenn durch z.B. durch Inflationshilfen des Staates zusätzliches Geld auf eine inzwischen verknappte Angebotsseite trifft, weil z.B. russische Ressourcen aus politischen Gründen aus dem Markt gedrängt werden, oder Produkte aus China die Märkte nicht mehr erreichen, oder die Lebensmittelproduktion durch Ökoauflagen reduziert wird, dann führt dies zu zusätzlicher Inflation, beschreibt Hans-Werner Sinn die neue, Situation in Deutschland. Alle in einer solchen Situation aufgesetzten Nachfragepakete wirken daher bei enger Angebotsseite direkt inflationär. Der Grund für die Zusatzausgaben seien dabei vollkommen irrelevant, sei es ein Entlastungspaket, sei es die Aufrüstung wegen Putin, seien es Zusatzausgaben zum Umweltschutz.

 

Unsere Industrie ist herzkrank geworden, diagnostiziert Deutschlands bekanntester Ökonom Hans-Werner Sinn die aktuelle Situation im Interview. Außerdem erklärt der frühere Ifo-Präsident, wie weit die Inflation noch steigen wird, wie weit die Europäische Zentralbank die Zinsen anheben muss und warum die geplanten Maßnahmen der Regierung gefährlich und inflationär sind.

 

Hans-Werner Sinn im Interview

Er ist einer der zuverlässigsten Ökonomen Deutschlands. Es gibt kaum eine Prognose von ihm, die bisher nicht eingetreten ist. Umso spannender ist es, wenn Sinn sich zu den aktuellen Umständen äußert, mit denen die Politik die deutsche Wirtschaft konfrontiert:

00:00 Einleitung des Gesprächs

01:18 Diagnose: Die Industrie ist herzkrank geworden, weil ihre Produkte politisch gewollt entwertet werden. Deutschland ist mit seiner Industrie gut aus der Lehmann-Krise gekommen. Das änderte sich jedoch 2017/2018, als der politisch gewollte Eingriff der EU in die Entwicklung der KFZ-Motoren durch die Verdammung des Diesel-Motors und die Vorboten des Verbrennerverbots zu wirken begannen. Die EU-Flottenvorgabe, daß Motoren ein Diesel-Äquivalent von 2,2 Liter auskommen müssen, leitete dieses Problem ein. Inzwischen liegt der Wert laut Sinn bei 1,8 Liter, mit dem Ziel 2035 das totale Verbrennungsmotor durchzusetzen. Damit wird das Zentrum unserer Industrie getroffen. 

„Die deutsche Industrie ist herzkrank geworden, weil das Herz, nämlich die deutsche Automobilindustrie durch die CO2-Verordnung niedergemacht wird“ (Min. 6:05)

Motorenbau konnten die Konkurrenten nicht so gut. Elektroautos können die anderen eben auch, so Sinn. Daher ist in Deutschland das meistverkaufte Elektroauto nicht der Golf, sondern der Fiat 500.  Hierbei handelt es sich jedoch von politische Produkte, die in der EU definiert werden.

Seit 2018 geht die Industrieproduktion in Deutschland zurück, also seit vor „Corona“! Dies zeigt z.B. ein Vergleich Deutschlands mit der Schweiz. Die Schweiz setzt ihren Wachstumstrend seither fort, Deutschland aber knickt ab.   

09:52 Wie weit die Inflation noch steigt: Die Inflation wird weitergehen, da die industriellen Erzeugerpreise als Vorlaufindikator bereits bei einer Inflation vonzuletzt 37%  liegen.  Diese schlagen erfahrungsgemäß zu einem Drittel auf die Preise der Konsumenten mit einer durchschnittlichen Zeitspanne von 3 Monaten zurück. Wir werden bei der Inflation daher im zweistelligen Bereich ankommen.

11:32 Sinns Einschätzung zur EZB-Entscheidung ist vollkommen unmißverständlich: endlich ist die Zinserhöhung gekommen, aber zu spät und zu gering. Die EZB hat hierzu unbrauchbare Prognosen in die Welt gesetzt. Die von der EZB angesetzten Modelle sind „eine Lachnummer“ (Min. 13). Neu ist nun:

„Das Angebot ist nun das Problem. Nachfrage haben wir in Massen, aber die Leute bekommen die Waren nicht. Insbesondere bei den Zwischenprodukten…. Die Lieferzeiten haben sich verdoppelt und verdreifacht… die Verkäufer haben nun die Macht die Preise zu erhöhen und die Käufer sind nun gezwungen höhere Preise zu akzeptieren, das treibt die Inflation… Zur coronadebingten Knappheit kommt nun auch noch eine Verknappung der Energie hinzu… Die EZB hat den Wechselkurs geändert. Seit letztem Jahr haben wir das Phänomen, daß während die USA seit 16.3.2021 aus den Niedrigzinsen heraus wollen…. amerikanische Papiere gekauft werden…. Dollar werden nachgefragt, Euro wird abgegeben… Der Ölpreis wird aber in Dollar berechnet… seit Juli 2021 hat der Dollar daher um 21 Prozent aufgewertet … die Preise, die auf den Weltmärkten bezogen werden, sind damit um 21 Prozent gestiegen… Dazu schweigt die EZB jedoch“ (Min. 14:20)  

20:56 Welchen Spielraum hat die EZB überhaupt? Durch das Unterlassen einer gebotenen Zinserhöhung in der EU und einer tatsächlich durchgeführten Zinserhöhung in den USA sind die USA für Anleger attraktiv geworden und gehen daher aus dem Euro hinaus und in den Dollar hinein. Auch aus  diesem Grund verteuerte sich zuletzt der Dollar um 20% gegenüber dem Euro, was aber auch Importe wie z.B. Rohöl entsprechend verteuert. Die EZB könnte mit hohen Zinsen die Nachfrage nach Krediten und nach Gütern reduzieren, was dadurch die Inflation dämpft. Dies wirkt gegenwärtig nur deswegen nicht rezessiv, da es gegenwärtig sowieso zu wenig Angebot und zu viel Nachfrage gibt. Die durch eine Zinserhöhung bewirkte weitere Reduktion der Nachfrage (weil sich die Bürger ein Gut dann wegen hoher Zinsen nicht mehr leisten können), trifft daher auf sowieso leere Märkte. Wenn daher eine Teuerung auf knappe/leere Märkte trifft, in denen sich die Konsumenten die Waren nicht mehr leisten könne, üben sie Verzicht und suchen nach Alternativen. In Folge sinkt die Nachfrage und wegen sinkender Nachfrage kommt das Verhältnis zwischen Waren und Konsumenten wieder ins Gleichgewicht. Zinserhöhungen bewirken in dieser Situation also eine Reduktion eines Nachfrageüberhangs, ohne selbst rezessiv zu wirken, da die Händler zu wenig Waren haben und deswegen sowieso nicht hinreichend viele Güter verkaufen könnten. Die Händler gehen daher nicht wegen fehlender Nachfrage insolvent, sondern wegen fehlender Güter!  

24:06 Höhe gebotener Zinssteigerungen: Für Sinn ist damit klar, daß die EZB die Zinsen  in  der EU eigentlich auf das Zinsniveau der US-FED erhöhen müsste.

25:08 Die EZB im Würgegriff: Vor der Einführung des Euro lag der Zins in Italien, Spanien etc. um 8% über dem Deutschlands. Dadurch, daß das Zinsniveau sich anglich, haben diese Länder viel Geld gespart, das sonst in den Zinsdienst gegangen wäre und haben dieses investiert. Im daraus resultierenden Aufschwung wurde hingegen zu stark den Lohnforderungen nachgegeben, weswegen in Folge dann diese Länder zu teuer wurden und sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben 

29:22 Ist das noch Geldpolitik? Damit war die Anhebung des Werts des US-Dollar vorhersehbar. Aus diesem Grund hatten sich Zentralbanker 2019 bereits zusammengeschlossen und ein Memorandum herausgebracht in dem sie kritisierten, daß die EZB doch immer stärker verbotene Wirtschaftspolitik betreibt und entgegen dem ökonomischen Sachverstand Südstaaten vor höheren Zinsen schützt.

31:00 Das Entlastungspaket –Sinn und Unsinn. Es ist bisher noch völlig unklar, wer daraus wirklich Geld bekommt. Absehbar ist aber, daß dies durch Schulden finanziert werden soll. Damit wirkt das Paket inflationär.  Ganz wichtig ist für Sinn dabei einen zentralen Paradigmenwechsel zu berücksichtigen. Sinn blickt auf eine Zeit der Stagflation zurück, in der beliebig viel Geld gedruckt wurde und  in irgend welchen Horten, wie z.B. in Fonds, etc. gesammelt wurde, wodurch letztendlich die Reichen immer reicher wurden. Kennzeichnend war hierbei, daß in dieser Zeit das viele Geld keine Inflation verursacht hatte, da es die Märkte bestenfalls sektoral, wie z.B. bei den Immobilien erreicht hatte, nicht aber in der ganzen Breite und ansonsten belebend wirkte, indem die Nachfrage gestärkt wurde. Die Tüte Milch lag beim Discounter aber z.B. weiterhin bei unter einem Euro. Das sei nun anders, da nun die Nachfrageseite verknappt wurde. Energie und Zulieferungen aus Russland sind zum knappen Gut geworden. Zulieferungen aus China sind um knappen Gut geworden. Nahrungsmittel werden zum knappen Gut werden. Wenn allerdings nun zusätzliches Geld auf eine verknappte Angebotsseite stößt, führt dies zu Inflation, da noch mehr Geld noch knapperen Waren gegenüber steht. Alle Nachfragepakete wirken daher in dieser Situation direkt inflationär.

32:58 Droht eine Pleitewelle im Winter? Sinn teilt die Befürchtung vor einer großen Pleitewelle im Herbst und Winter und führt hierzu den Sachverständigenrat an. Eine Kompensation darf nicht über die Preise führen. Der über die Preise zum Ausdruck gebrachte Anreiz, knappere Güter wegen deren höherer Preise aus dem Weg zu gehen und Alternativen zu suchen, darf nicht abgemildert werden. Der Staat darf nicht in die Preisbindung am Markt eingreifen. Das würde sonst in die Grundlagen der Ökonomie eingreifen. Hilfen dürfen nur als Pauschalbeträge geleistet werden.

35:26 Wie wir die Energiepreise in den Griff bekommen: Das gelte auch für Energie. Die Folge wären Rationierungen. Rationierungen wären aber noch ineffizienter, da eine mit der Rationierung beauftragte Stelle nicht feststellen kann, wer denn Einsparpotential hat (z.B. die Millionärswohnung) und wer nicht (z.B. ein Bäcker). Möglich wäre aber ein relatives Kontingent, daß x-Prozent des bisherigen Verbrauchs subventioniert werden und der Rest nicht mehr. So bleibt der Preismechanismus erhalten. 

36:06 Politik muss Ross und Reiter benennen, wer die Lasten von Entlastungspaketen trägt, wie z.B die Rentner, denen über Inflation die Rente geschmälert wird. 

33:17 Was Industriepolitik jetzt leisten muss: Deutschland hatte beriets nach dem Krieg eine Mangelwirtschaft. Damals ist man den Weg gegangen, daß der Preismechanismus über Rationierungen nicht außer Kraft gesetzt wurde, da  die Händler die Waren zurückhielten und die Schaufenster leer blieben. Gekauft wurde daher auch Unbrauchbares, nur weil es eben verfügbar war. Das hat sich dann mit der Freigabe der Preise geändert. Behörden können diese Anpassungen nicht mit einem Neodirigismus ersetzen. 

39:03 Ist Deutschland noch zu retten? Deutschland ist rettbar, wenn man die Fehler korrigiert. Statt Kernkraftwerke abzustellen sollte man die Versorgungssicherheit wiederherstellen. Die letztes Jahr abgeschalteten und die kommendes Jahr abzuschaltenden KKWs produziert(t)en 60 Terawattstunden. Alle photovoltaischen Anlagen produzieren 50 Terawattstunden. Das sind etwa 5,5% des Primärenergieverbrauchs, also des Gesamtenergiverbrauchs in D. In der offiziell kommunizierten Statistik steck nämlich eine Schummelei. Sie wird nur auf den Strom bezogen. Bei der Stromproduktion ersetzen die Erneuerbaren vielleicht bis zu 50% der bisherigen Stromproduktion. Es soll ja aber die gesamte Wirtschaft dekarbonisiert werden. Also müsste der Gesamtenergieverbrauch  dekarbonisiert werden, also der der Industrie, der Beheizung der Häuser, des Verkehrs etc.  Hiervon decken die „Erneuerbaren“ bisher aber nur etwa 5.5%. 

Die Babyboomer stehen nun vor Problemen, denn deren Ersparnisse werden gerade von der Inflation aufgefressen und die Rentenversicherung kann das nicht auffangen, da diese über das Umlageverfahren arbeitet, also von denen die jetzt schon von der Hand in den Mund leben. Die einzige Möglichkeit wäre, Kinder zu haben. Nur mit Kindern funktionieren diese Umlagesysteme.